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Wenn die hohe Kante bröckelt

Um sich Gedanken über eine ausreichende Altersvorsorge zu machen, muss man gar nicht auf die Pläne der neuen Regierung zur Reform der Rente ab 2025 warten. Es reicht ein Blick in die Gegenwart: Inflation, Verwahrentgelte und Nullzinsen rauben den Schlaf und manchen Groschen. Geld unterm Kopfkissen hat Konjunktur.

Stand Mitte Oktober 2021: Das Vergleichsportal Verivox zählt über 400 Banken und Sparkassen, die ihre privaten Kunden:innen mit Negativzinsen konfrontieren oder Gebühren für das üblicherweise kostenfreie Tagesgeldkonto verlangen. Oft heißt es: Verwahrentgelt. Das klingt netter als Strafzins oder Negativzins. Mit Verwahrentgelt ist es wie einst mit dem Neusprech für Atomkraftwerke. Sie wurden zu „Kernkraftanlagen“ aufgehübscht, damit das Wort Atom nicht verängstigt. (Oder Raider: Der Schokoriegel heißt jetzt Twix, schmeckt aber genauso.) Negativzinsen dagegen schmecken vielen nicht. Sandra Klug, Abteilungsleiterin Geldanlage/Altersvorsorge/Versicherungen bei der Verbraucherzentrale Hamburg, sagt: „Auf der einen Seite sind Menschen durch Niedrigzinsen und Inflation aufgeschreckt. Sie fürchten, dass ein Pfeiler der eigenen Alterssicherung wegbricht, als wäre er auf Sand gebaut. Auf der anderen sind sie durch Verwahrentgelte verunsichert. Viele fürchten, dass ihr Erspartes aufgezehrt wird. Sie haben Angst um das, was sie im Laufe der Jahre angespart haben, um sich im Alter den einen oder anderen Luxus zu gönnen, der sonst bei der gesetzlichen Rente nicht drin gewesen wäre. Egal, ob Hamburger Sparkasse, Volksbank, Postbank. Viele Kunden:innen kommen jetzt zur Verbraucherzentrale“, sagt Klug. „Es sind nicht die Großverdienenden, sondern normale Leute aus der Mittelschicht. Das ist der Friseurmeister oder die Kfz-Mechanikerin. Der eine hat über die Jahre 10.000 Euro angesammelt, die andere 50.000 Euro.“

Verwahrentgelte

Strafzinsen sind nichts Neues. 2014 legte die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrer Niedrigzinspolitik los und erhob einen negativen Einlagezins für Banken, die Geld parken wollten. Diesen eigenen Strafzins schiebt die Bank über den Schalter weiter. Zunächst nur an die großen und institutionellen Anleger. Jetzt bitten sie auch private Sparer:innen zur Kasse. Sie erhalten keine Zinsen mehr für Erspartes. Im Gegenteil: Sie müssen zahlen, dass die Bank das Geld „verwahrt“.  Den Anfang machte eine Volksbank aus Thüringen, doch die Liste von Verivox reicht von der Allgäuer Volksbank über Hamburger Institute, Deutsche Bank, Sparda bis Westerwald Bank. Der Fairness halber sei angemerkt, was Banken zur eigenen Verteidigung sagen: Die Bank ist betroffen. Sie hat ein Konto – bei der EZB. In normalen Zeiten zahlt sie dafür Geld. Die Höhe richtet sich nach dem Zins, den viele aus den Medien kennen: Leitzins. Derzeit liegt der bei null. Die Rechnung der Bänker: Knapp 2,5 Billionen Euro machen Giro- oder Tagesgeldkonten fett. Bei 0,5 Prozent erreicht das Verwahrentgelt Milliardenhöhe.

Geld kostet Geld

Bankkunden:innen gucken in die Röhre. Ihr Sparvermögen schmilzt langsam, aber sicher. Die Erosion knabbert an mehreren Ecken. Bundesweit senken Banken die Höhe der Freibeträge. Zunächst lag die Schallgrenze, die Kunden:innen aufhorchen ließ, bei Guthaben ab 100.000 Euro. Jetzt liegt sie mancherorts bei 25.000 Euro, anderswo bei 10.000 Euro. Ab dann kostet es, Geld zu haben. Anfangs waren das bei manchen schmale 0,1 Prozent, das können heute bis zu 1 Prozent sein – je nach Freibetrag. Tagesgeldkonten, aber auch Girokonten, sind zudem von Gebühren betroffen. Die sind oft unabhängig vom Kontostand fällig, mindern also sofort die Geldsumme.

Neukunden

Zwar urteilte das Landgericht Tübingen 2018, dass „nicht nachträglich bei bereits abgeschlossenen Einlagegeschäften einseitig durch die Bank eine Entgeltpflicht für den Kunden eingeführt werden“ kann. Doch Neuverträge gelten als weniger kritisch und die Vereinbarung von Negativzinsen zumindest grundsätzlich – als zulässig. Und wenn es um bestehende Konten geht, sucht die Bank das Gespräch mit dem Kunden ...

Auch Betongold macht nicht sorgenfrei. Ältere, die erwägen, ihr Haus am Stadtrand zu verkaufen, weil die fünf Zimmer nach dem Auszug der Kinder zu groß geworden sind, wissen jetzt nicht, wohin mit dem Baren: Die alternative Wohnung ist zu teuer. Ein Sparvertrag, der das Vermögen nicht aufzehrt, sondern Monat für Monat etwas drauflegt, ist kaum wirtschaftlich. Das Kopfkissen zu unsicher ... Wer dem bisher geltenden Rat folgt, auf dem Girokonto eine Notreserve in der Höhe von etwa drei Gehältern, Renten oder Pensionen zu verwahren, hat das Nachsehen. Gerade Ältere haben oft Geld für schlechte Tage gebunkert, um gegen überraschendes Ungemach wie Krankheiten oder erhöhten Geldbedarf im Fall von Pflege gefeit zu sein.

Kopfkissen

„Das Kopfkissen ist keine Alternative“, sagt Klug. Aber es gibt keine andere Möglichkeit, ein Polster für Notfälle anzulegen. Sie blickt jedoch über die Bankenwelt hinaus. Denn nicht nur Giro- und Tagesgeldkonten leiden. Auch ohne Verwahrentgelt und Gebühr mindert die Inflationsrate die Kaufkraft. Das Ersparte verliert an Wert. Was in guten Zeiten für das Alter aufgehoben wurde, verflüchtigt sich wie Nebel im Sommermorgen. Doch Klug erinnert sich: „Schon in den 80er Jahren lag das Zinsniveau unter der Inflationsrate. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Teuerung höher ist als der Zinsertrag. Aber heute kommen zur Inflation Verwahrentgelte dazu.“

Was tun?

Sie warnt, als älterer Mensch noch Rentenversicherungsverträge abzuschließen, „sich aufschwatzen zu lassen“. Hier fallen recht hohe Provisions- und Verwaltungskosten an, die eine Rentenversicherung als Milchmädchenrechnung entlarven. Klug kalkuliert: Wer Mitte 60 eine private Police abschließt, muss über 90 werden, damit die sich auszahlt. Es sei „eine Wette auf das eigene Leben.“ Eher rät sie Senioren:innen, sich ein Sparprodukt auszusuchen, das zwar wenig Rendite bringt, aber immerhin noch verzinst ist. „Es gibt noch Banken mit akzeptablen Angeboten. Bei Fonds und Aktien muss man sich  klar sein: Sie gehen ein Risiko ein.“ 

Rente

Klug verweist auch auf viele, die Beratung suchen, weil sie eine Lebensversicherung ausgezahlt bekommen und Anlagebedarf haben. „Manche Verträge aus den 80er und 90er Jahren, mit denen die heutigen Senioren:innen ihren Lebensabend finanziell aufrüsten oder ihre Immobilie abbezahlen wollten, waren schon damals irreführend. Oft wurden die Leute mit völlig unrealistischen Gewinnüberschüssen und Ablaufleistungen in die Verträge gelockt. Heute rangieren die ausgezahlten Summen unter der einst optimistisch prognostizierten Summe“. Dabei galten Lebensversicherungen als gute Möglichkeit, vorzusorgen. Thomas Wedrich, Kommunikationschef des Versicherungsunternehmens Signal Iduna in Hamburg, wird vermutlich mit Wehmut zurückschauen, wenn er sagt: „Wer in früheren Zeiten eine Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen hat, profitiert heute von hohen Garantien und entsprechenden Auszahlungen aus einer langfristig ausgerichteten, sicherheitsorientierten Kapitalanlage.“ Selbst jüngere Verträge bieten, so Wedrich, „hohe Sicherheit und Planbarkeit für den Lebensabend.“  

Sparbuch

Keine guten Noten erhalten die von vielen Deutschen noch so geliebten Klassiker: „Wer sein Geld vor allem in traditionellen Anlageformen, wie dem gerade bei Älteren immer noch beliebten Sparbuch anlegt, leidet besonders unter den extrem niedrigen Zinsen oder gar Minuszinsen in Form von Verwahrentgelten.“ Zudem seien die Erträge durch die Inflation bedroht.  Wedrich blickt dann auch auf Alternativen, wie die von der Verbraucherberatung arg kritisierte Rentenversicherung: „Eine langfristige Perspektive bietet eine sofort beginnende Rentenversicherung, da die Rente gezahlt wird, solange der Versicherte lebt, auch wenn er sehr alt wird. Das Geld kann also im Vergleich zu einem Auszahlplan von einem Bankkonto nicht ausgehen. Dazu können zusätzliche Absicherungen vereinbart werden, etwa eine Rentengarantiezeit oder eine Hinterbliebenenrente. Diese sorgen dafür, dass im Falle eines vorzeitigen Ablebens die Partnerin oder der Partner abgesichert ist.“

Reden ist Gold

Diese Zusatz-Instrumente wie Beitragsrückgewähr oder Rentengarantiezeit kosten zwar zusätzlich. Sind aber, so auch andere Berater:innen, ratsam. Dennoch. Eine derartige Rentenform garantiert eine lebenslange Rentenzahlung, bedeutet aber Abstriche bei der Rendite und eine gerade für Ältere nicht einfache langfristige Bindung. Muss plötzlich Geld her, ist der einstige Batzen Geld in einer Einmalzahlung aufgegangen und wurde zur Zahlungsform modelliert, die als Rente nur häppchenweise fließt. Es gilt also abzuwägen, ob eine größere Summe im Alter gebraucht wird, sei es für das Wohnmobil oder was auch immer. Auf das Geld unter dem Kopfkissen oder das nahezu zinsfreie Geld auf der Bank sollte man sich nicht verlassen, rät Vorsorge-Spezialist Stefan Plato von der Hamburger Sparkasse (Haspa):
„Wer seinen Ruhestand über lebenslang laufende Rentenzahlungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder aus privaten Rentenversicherungen finanziert, kann ruhig schlafen. Solche Zahlungen sind verlässlich. Anders kann es bei Ruheständler:innen aussehen, die überwiegend von ihrem Vermögen leben.“

Es prüfe, wer sich länger bindet

Auch der Haspa-Experte beurteilt die Lebensversicherungen skeptisch. Die Erträge sind gesunken, eine wesentliche Erholung sei nicht zu erwarten. Dennoch empfiehlt  Plato, Verträge nicht überstürzt zu kündigen oder Einzahlungen einzustellen. Der Bankmann sagt: „Wer aber zusätzlich noch weitere Beiträge für das Alter zurücklegen kann und will, sollte renditestärkere Anlageformen wählen, die sich mehr an der Entwicklung am Aktienmarkt orientieren.“ Wie aber kann die oder der, die durch einen ausgezahlten Sparvertrag, eine fällige Lebensversicherung oder den Verkauf der Immobilie noch im hohen Alter zu viel Geld kommen, das in den Ruhestand hinüberretten? Plato rät: Ganz allgemein sollte man frei werdende Mittel aus Lebensversicherungen oder Sparverträgen lieber kurzfristig zwischenparken und sich genug Zeit für die Anlageentscheidung nehmen. Auch hier gilt: Ruhig über eine teilweise Kapitalmarktbeteiligung nachdenken – bei einer 100-prozentig sicheren Anlage sind die Erträge aktuell nicht attraktiv. Freie Mittel können nach persönlicher Präferenz in eine sofort beginnende Rentenversicherung (mit Fondsbeteiligung und garantierter Mindestrente) oder einen Fonds-Entnahmeplan eingezahlt werden. So können in der Regel noch zufriedenstellende monatliche Zusatzeinkünfte generiert werden.“

Wenn’s um Geld geht, hat also der gute alte Sparstrumpf ausgedient. Dabei ist er vollgestopft, vermelden manche, gerade Senioren:innen haben einiges auf der hohen Kante:
Wer das gesamte Geld- und Immobilienvermögen der Hamburger betrachtet, staunt über ein durchschnittliches Gesamtvermögen aller Seniorenhaushalte von 236.384 Euro. Und die Verwunderung geht weiter: Eine Studie des Forschungs- und Beratungsinstituts Empirica vom Juni 2021 im Auftrag der Deutschen Teilkauf, eines Unternehmens, das Immobilen anteilig erwirbt bei bleibendem Wohnrecht, nennt für einen Hamburger Seniorenhaushalt ein durchschnittliches Geldvermögen von 79.554 Euro. Aber es sind Durchschnittswerte. Was die oder der einzelne im wirklichen Leben – abseits der Statistik – hat, steht auf einem anderen Papier. Die Studie relativiert mit Blick auf das ganze Bundesgebiet: Von etwa 7,7 Mio. Seniorenhaushalten haben 58 Prozent ein Einkommen von weniger als 1.600 Euro pro Person. Selbst für Senioren mit Immobilienbesitz gilt: Von knapp 3,3 Mio. Haushalten mit Haus oder Wohnung verfügen 25 Prozent über kein auskömmliches Einkommen.

Über Geld redet man nicht, sollte man aber. Wie sich Negativzinsen auswirken, rechnet Verivox vor: Ein Geldinstitut kassiert für Tagesgeldeinlagen über 100.000 Euro ein Verwahr-entgelt von 0,5 Prozent. Wer 200.000 Euro hat, muss zwar nur Strafzins ab 100.001 Euro zahlen. Aber: Nach einem Jahr liegen noch 199.500 Euro auf dem Konto.    

Andreas Lagemann

SeMa sprach mit Andreas Lagemann, Forscher am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), über die Auswirkungen der Niedrigzinsen, Verwahrentgelte und Inflationsrate für heutige Rentner:innen.

Wie beurteilen Sie die Folgen der Niedrigzinsen für heutige Rentner:innen?

Den weit größten Teil der Alterssicherung macht die gesetzliche Rentenversicherung aus (2019: 291,4 Mrd. Euro, d. Red.). Diese Leistungen werden über ein Umlageverfahren durch die Beiträge der jetzigen Arbeitnehmer finanziert. Bei der derzeit sehr hohen Beschäftigung ist die Rente nicht in Gefahr und nicht direkt von Niedrigzinsen betroffen. Viele Rentner beziehen daneben Leistungen aus einer betrieblichen Alterssicherung (2019: 26,8 Mrd. Euro) oder der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst (2019: 13,6 Mrd. Euro). Diese Zahlungen werden in der Regel über eine Pensionskasse, einen Pensionsfonds oder eine Direktversicherung geleistet, die vom Arbeitgeber abgeschlossen wird. Auch wenn es für Anbieter bei niedrigen Zinsen schwieriger ist, Kapital zu vermehren, können sie ihre Leistungen in der Regel erfüllen. Ist dies nicht der Fall, muss laut Betriebsrentengesetz der Arbeitgeber für zugesagte Leistungen einstehen. Unter Umständen greift der Sicherungsfonds der Lebensversicherer.

Wie sieht es mit denen aus, die Geld in Sparverträge und Lebensversicherungen investiert haben, um das Altersgeld zu verbessern?

Die laufende Verzinsung von Lebensversicherungen ist immer weiter gesunken. In diesem Jahr ging sie auf rund zwei Prozent zurück. Die Überschussbeteiligung wurde von vielen Anbietern stark gesenkt. Aber auch wenn die Verzinsung in den letzten Jahren nach unten ging, können die Lebensversicherer laut Finanzaufsicht BaFin ihre Garantieversprechen erfüllen. Die hohen Zusagen alter Verträge müssen sie seit 2011 in einer Zinszusatzreserve zurückstellen.

Wie stehen Ältere kurz vor dem Ruhestand da? Was raten Sie, um das Geld über die Runden ins Alter zu retten?

In Zeiten hoher Inflation, wie jetzt, ist es sinnvoll, das Geld in irgendeiner Form anzulegen anstatt es zu Hause oder auf dem Girokonto ruhen zu lassen. Dabei sollte keine Anlage, die auf zu lange Sicht ausgelegt ist, etwa Bausparpläne, gewählt – und das Risiko auf verschiedene Anlageformen gestreut werden. Wer weniger Risiko eingehen will, für den ist eine Sofort-Rente eine Option. Generell gilt es, viele Angebote und Informationen zur Vertrauenswürdigkeit des Anbieters einzuholen. Die Verbraucherzentralen bieten dazu Informationsmöglichkeiten.

Was raten Sie Menschen, die aufgrund von Fehlzeiten in der gesetzl. Versicherung noch „kurz vor der Ruhezeit“ privat vorsorgen wollen?

Wer viele Fehlzeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung aufweist, sollte zunächst einmal anhand der letzten Renteninformation prüfen, ob der Versicherungsverlauf richtig erfasst ist. Denn Erziehungszeiten und die Pflege von Angehörigen werden für die Höhe der Rentenleistung angerechnet. Wer nur Aussicht auf sehr geringe Leistungen durch die gesetzliche Rente hat und über Erspartes verfügt, für den ist die oben genannte Sofort-Rente möglicherweise eine sinnvolle Option, da sie anders als zum Beispiel Aktienfonds planbare Leistungen bis zum Lebensende sichert.     

 

Dr. H. Riedel © SeMa

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