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Charles de Gaulle in Hamburg

Unser Redakteur Franz Josef Krause erinnert sich

Staatspräsident und General de Gaulle neben
Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (re.) und Bürgermeister Paul Nevermann, SPD (li.). Den sollte ein weiterer Staatsbesuch – der von Königin Elisabeth II. – 1965 den Job kosten.

Wie nur noch der US-Präsident John F. Kennedy knapp ein Jahr nach ihm, war es Charles de Gaulle, der französische Staatspräsident, der 1962 bei seinem Staatsbesuch Hunderttausende jubelnde Deutsche auf Straßen und Plätze brachte. So auch am Freitag, den 7. September 1962, in Hamburg. Fast hätte es nicht geklappt. Doch ich war dabei. Damals, an einem sonnigen Spätsommertag, residierte die Vertriebsbuchhaltung eines Mineralölkonzerns in dem Gebäude an der Sophienterrasse, in dem heute Flüchtlinge leben. Lehrling war ich und 17 Jahre jung. In der Mengenbuchhaltung fristete ich mein Dasein – furchtbar langweilig fand ich das. Den Freitag erwartete ich aber nicht nur deshalb sehnlichst: Ein ganz besonderer Gast sollte an diesem Tag im offenen Wagen von Flughafen über den Harvestehuder Weg zum Rathaus fahren: Präsident Charles de Gaulle, der Mann, der mit Konrad Adenauer die seit Jahrhunderten bestehende Erbfeindschaft in Freundschaft umgewandelt hatte. Leider sollte er erst gegen 14 Uhr die Einmündung des heute noch bestehenden schmalen Fußwegs von der Sophienterrasse in den Harvestehuder Weg passieren. Also außerhalb der offiziellen Mittagspause. Zu früh gefreut? Mitlehrling Elke von Halle, ein Lehrjahr weiter und auch ansonsten weit lebenserfahrener, wusste Rat. „Du lässt einfach Deine halbstündige Frühstückspause ausfallen, denn gehen wir zusammen zu de Gaulle!“ Dummerweise stand, als wir losmarschierten, der Leiter des „Mengenbuchs“ mit Kollegen vor der Tür und freute sich darauf, denen zu zeigen, was rechte Personalführung ist. „Wohin, junger Mann“, fragte er und erklärte dann, dass selbst ein so wichtiger Staatsbesuch kein Grund sei, die Frühstückspause ans Ende der Mittagspause zu legen. Sein Fazit: „Sie gehen sofort wieder ins Büro!“ Fast hätte ich kehrt gemacht, doch meine Begleiterin warf meinem Chef einen vernichtenden Blick zu und sagte „Spinnen Sie, Herr D.? Glauben Sie, de Gaulle kommt ihretwegen schon um zehn hier vorbei?“ Dann nahm sie energisch meine Hand und zog mich davon. Hinter uns Gelächter und ein blamierter Mann mit hochrotem Kopf, von dem ich später hörte: „Im Mengenbuch, da können Sie keinen Blumentopf gewinnen.“ Das wollte ich auch nicht.

Erbfeind – was ist das?

Erbfeind ist ein deutscher Begriff, der seit den Eroberungszügen unter Ludwig XIV. und den Napoleonischen Kriegen für Frankreich verwendet wurde. Große und kleine Dichter sangen ein Lied davon. Fast harmlos noch Nikolaus Becker mit seinem „Rheinlied“ – geradezu verbrecherisch („... dämmt den Rhein mit ihren Leichen ...“) Heinrich von Kleist im „Kriegslied der Deutschen“. Johann Wolfgang von Goethe brachte das ambivalente Verhältnis der Deutschen zu ihren Nachbarn im Westen wohl am besten zum Ausdruck. Im „Faust I.“ lässt er in Auerbachs Keller in Leipzig den trunkenen Brandner schwafeln: „Man kann nicht stets das Fremde meiden. Das Gute liegt uns oft so fern. Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden, doch ihre Weine trinkt er gern.“ Das Verhältnis beider Nationen war durch die „Erbfeindschaft“ belastet, bis Charles de Gaulle und Konrad Adenauer auf die Idee kamen, dass es möglich ist, ein Erbe auch auszuschlagen und Freunde zu werden.

Ein wahrhaft großer Franzose

Schon äußerlich stach de Gaulle mit seinen 1,96 m aus der Masse hervor. Am 22. November 1890 in Lille geboren, ging er nach der Schule zur Armee, nahm am Ersten Weltkrieg teil und stieg vom Lieutenant zum Capitaine auf. Mehrfach verwundet, geriet er im März 1916 in deutsche Gefangenschaft. Nach etlichen Stationen mit misslungenen Fluchtversuchen erlebte er das Kriegsende auf der Wülzburg in Bayern. In der Zeit seiner Gefangenschaft lernte der Capitaine Deutsch – viele seiner Reden bei seinem Staatsbesuch 1962 trug er auf Deutsch vor. Im Zweiten Weltkrieg war er in der Phase der deutschen Invasion der einzige französische befehlshabende Offizier, dem es gelang, die Deutschen zu einem Rückzug zu zwingen. Dennoch konnte das die Niederlage nicht verhindern. Von England aus leitete er später den Widerstand, die „Resistance“.

Vom General zum Präsidenten

Oft führt der Weg eines Militärs an die Spitze einer Regierung über einen Putsch. Das hatte de Gaulle nicht nötig. Nach der Befreiung Frankreichs wurde der Nationalheld fast automatisch Chef einer provisorischen Regierung. Genervt von den Streitereien um die zukünftige Verfassung unter den Parteien, zog er sich schon am 20. Januar aus der Politik zurück. Im Mai 1958 war er wieder da. „Ich bin ein Mann allein“, so de Gaulle, „ich gehöre keiner Richtung, keiner Partei an. Nun, wenn das Volk es will – wie im Jahre 1940 – dann stelle ich mich an die Spitze der Regierung der Französischen Republik.“ Das Volk wollte es; die zerstrittenen Parteien auch. Der General sollte Frankreich retten, denn im damals französischen Algerien putsche das Militär. Der gewiefte Stratege nutzte die Gunst der Stunde, befriedete Frankreich und beendete den Algerienkrieg. Im selben Jahr gelang ihm gemeinsam mit Adenauer die Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich. Im Elysee-Vertrag von 1963 fand diese Aussöhnung ihren völkerrechtlich verbindlichen Ausdruck.

Franzosen in Hamburg

Als Folgen der Wirren nach der blutigen Bartholomäusnacht im Jahr 1572 verließen protestantische Glaubensflüchtlinge Frankreich und suchten in anderen Ländern Asyl. Mehr als 1200 Hugenotten ließen sich in Hamburg und Altona nieder und begannen dort ein neues, oft sehr erfolgreiches Leben. Die Namen Godeffroy, Vidal und Boué zählen zu den bekanntesten Hamburger Hugenottenfamilien. Während die Calvinisten (Reformierten) in Altona keinem politischen Druck ausgesetzt waren, reagierte der lutherische Senat in Hamburg engstirniger. Arbeiten und leben in der Hansestadt durften sie – beten nicht.  Die Zuwanderer wussten sich damit zu arrangieren. „So lange Euer Senat uns toleriert, wo wir sind, suchen wir nicht anderswo“, gab 1719 der Kaufmann Jaques Legras zu Protokoll, weil der Senat die Befürchtung hegte, er wolle auf dem von ihm am Pilatuspool erworbenen Grundstück eine Kapelle errichten. Dennoch misstrauisch, verfügte der Senat bei Androhung einer Geldstrafe, er dürfe das Grundstück „nur profan und civil“ gebrauchen. Die Reformierten reagierten weiter gelassen. Das, obwohl Hamburger Pastoren  besonders hartnäckig die Reformierten verteufelten – so mit der Schmähschrift „Kurzer Beweis, dass das jetzige Vereinigungswesen mit den sogenannten Reformierten oder Calvinisten dem ganzen Katechismus schnurstracks zuwiderläuft“ von 1721.

Unser Redaktuer F. J. Krause als Lehrling. Seine Extrakraft hieß Elke, sonst hätte er de Gaulle nicht zujubeln können.

Franzosenzeit in Hamburg – 1810 bis 1814

Hamburg hieß damals „Hambourg“ und war die Hauptstadt des „Departements des Bouches de l’Elbe“ – mithin ein Teil des Napoleonischen Kaiserreichs. Napoleon unterband den Englandhandel und ruinierte dadurch viele Kaufleute der Stadt. Verwaltung und Justiz wurden nun erstmals getrennt. Als Appellationsgericht der drei hanseatischen Departements wurde in Hamburg ein Kaiserlicher Gerichtshof (Cour impériale) eingerichtet. Der Code civil löste das Hamburger Stadtrecht ab, und im Strafprozess wurden die Geschworenengerichte eingeführt. Höhere französische Beamte wurden aus dem inneren Frankreich, vor allem aus dem Elsass, nach Hamburg abgeordnet. Bestattungen in Kirchen wurden verboten – kurzum, die Franzosen schnitten in Hamburg etliche alte Zöpfe ab.

Im Winter 1813 begannen russische Truppen und „hanseatische Kampfgenossen“ mit der Belagerung „Hambourgs“ Doch erst am 30. Mai 1814 (drei Wochen, nachdem die Alliierten Paris erobert hatten) endete die Belagerung. Der französische Kommandeur Marschall Louis-Nicolas Davout verließ mit 25.000 Soldaten und 5000 Pferden die Stadt.

Das Erbe vom Erbfeind

Auch wenn die „Franzosenzeit“ in Hamburg gut zwei Jahrhunderte zurückliegt, ist ihr Erbe auch heute noch gegenwärtig. Ganz sicher ist es der in Hamburg übliche Abschiedsgruß, der sich aus dem französischen „Adieu“ über Adschüs/Atschüs zum heutigen „Tschüss“ gewandelt hat. Auch Ausdrücke wie Plörre (schlechter Kaffee von „le pleur“: zum Weinen scheußlich) und plärren oder plietsch rühren vermutlich aus dieser Zeit. Der hamburgische Ausdruck für „aufpassen“, das „Auf dem Kiwie sein“, geht zurück auf die Frage der Wachsoldaten: „Qui vive – wer da?“ Vor der Einladung französischer Soldaten „Voulezvous visiter ma tente?“ an junge Hamburgerinnen, ihnen ins Zelt zu folgen, warnten die Eltern sie mit „mach keine „Fise ma tenten – mach keinen Unsinn“. Selbst das „Ätschibätsch“ entstand aus dem „Vous êtes si bête – Sie sind so dumm“ der Franzosen. Zwar ist der Ursprung des Franzbrötchens bis heute unklar. Doch eine beliebte Theorie besagt, dass die Hamburger Bäcker während der französischen Besatzungszeit im 19. Jahrhundert anfingen, nach französischer Art weißes Baguette-Brot zu backen, sogenanntes Franzbrot. Einer kam auf die Idee, das Brot in der Pfanne mit Zimt und Zucker zu braten und erfand so das Franzbrötchen.

De Gaulle in Hamburg

Es war ein politischer Siegeszug durch Deutschland, den der französische Präsident im September 1962 antrat. In Hamburg war nicht nur das Rathaus sein Ziel, sondern auch die Führungsakademie der Bundeswehr. Ganz besonders am Herzen lag ihm der Kontakt mit der einst von den Franzosen ruinierten Kaufmannschaft, mit deren Vertretern er sich im Auditorium Maximum der Uni und im Übersee-Club traf. Indirekt deutete er schon damals sein Veto gegen den Beitritt Großbritanniens zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) an. Zum Abschied rief der Präsident den Hamburgern den auf ihre Stadt umgewandelten lateinischen Wahlspruch der Stadt Paris zu: „Hamburg fluctuat, nec mergitur – Hamburg mag schwanken, aber nicht untergehen.“

De Gaulle trat am 18. April 1969 nach einem für ihn gescheiterten Referendum zurück. Am 9. November 1970 starb der große Freund Deutschlands in Colombey-les-Deux-Églises, im Département Haute-Marne. „Sein Tod hat Frankreich zur Witwe gemacht“, so sein Nachfolger Georges Pompidou.

Alfons, der Geschichtenerzähler und Reporter mit dem Puschelmikrofon.

Inzwischen ist er Deutschlandkenner – Alfons, der Geschichtenerzähler und Reporter mit dem Puschelmikrofon

Das SeMa fragte ihn nach seinen Hamburg-Eindrücken:

„Am Anfang musste ich mich an vieles gewöhnen. Vor allem an das Klima. Wobei, es stimmt nicht, dass es in Hamburg immer regnet, manchmal hagelt es auch. Der größte Schock, war, als ich zum ersten Mal zum Essen eingeladen wurde. Es gab... Labskaus. Für einen Franzosen sehr gewöhnungsbedürftig. Mittlerweile fühle ich mich sehr wohl und bis sehr gut integriert und eingedeutscht mit allem, was dazugehört. Ich bin sogar ADAC-Mitglied. Nur eines habe ich noch nicht drauf. Das mit den Labskäuse ... Labskausen ... Labs ... Wie sagt man? Wahrscheinlich gibt es kein Plural oder? Niemand hat jemals mehr als eins davon haben wollen.“

Aber mehr als einmal ... Alfons – also Alfonse, das geht schon.

Hier seine nächsten Termine in Hamburg: 13.11. Alma Hoppes Lustspielhaus, 15.11. Kultur Palast, 29.11. Alma Hoppes Lustspielhaus, 01.02. + 12. + 13.05. St. Pauli Theater

 

F.  J. Krause © SeMa

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