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Ein Mann räumt auf

Robert Koch und die Cholera in Hamburg

Ein – wenn auch nicht unumstrittener – Starmediziner seiner Zeit. Robert Koch im Jahr 1900. Der Nobelpreis wurde ihm erst 1905 verliehen. Koch war verstimmt, dass sein Schüler Emil von Behring ihn noch vor ihm erhalten hatte. Foto: Wikipedia

Ob in Printmedien, im Fernsehen oder Rundfunk – in den Zeiten von Corona taucht ein Name täglich mehrfach auf. Die Rede ist von einer deutschen Behörde, von deren Existenz vermutlich zuvor nicht einmal ein Promille der Bevölkerung wusste. Denn zitiert wird laufend die Bundesoberbehörde für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten, das Robert Koch Institut – kurz RKI. Sein Präsident ist der Tierarzt und Fachtierarzt für Mikrobiologie Lothar Heinz Wieler und sein Institut hat zurzeit eine mediale Präsenz, die sicher ihr Chef sicher nie hätte träumen lassen. Der Namensgeber und Gründer seiner Einrichtung hingegen hatte durchaus Interesse daran, in der Öffentlichkeit zu stehen. Robert Koch, 1843 in Clausthal im Harz geboren, gelang es 1876 den Erreger des Milzbrands (Bacillus anthracis) außerhalb des Organismus zu kultivieren und dessen Lebenszyklus zu beschreiben. Dadurch wurde zum ersten Mal lückenlos die Rolle eines Krankheitserregers beim Entstehen einer Krankheit beschrieben. 1882 entdeckte er den Erreger der Tuberkulose. Koch war einer der führenden Mediziner im Deutschen Reich.

Fachmann für Cholera

Den Erreger der Cholera, das kommaförmige Bakterium „Vibrio cholerae“ züchtete Koch erstmalig 1884 mit Bernhard Fischer und Georg Gaffky in Indien aus dem Darm verstorbener Patienten in Reinkultur. Dort und in Ägypten beschäftigte er sich eingehend mit dieser Krankheit. Für ihn, wie auch für etliche englische Wissenschaftler stand fest, woher die Krankheit stammt: aus dem Wasser.

Hamburg denkt sparsam

Aber nicht für den Hamburger Senat, als dort am 14. August 1892 noch weitgehend unbeachtet das große Sterben einsetzte. Die Krankheit und ihre Symptome waren in der Stadt bekannt – jedoch in Hamburg war die „Miasma“ Theorie des bayrischen Chemikers Max Josef Pettenkofer Stand des Wissens. Nach dieser Denkschule waren Boden- und Grundwasserbeschaffenheit die Hauptursachen der Erkrankung. Und daran konnte der Senat nichts ändern. Glück gehabt – Geld gespart. Zudem - krank wurden ohnehin nur die Armen. Um die Wirtschaft nicht zu stören, hielt man in Hamburg trotz steigender Sterbefälle die Krankheit „unter dem Deckel“ – Auswandererschiffe verließen mit infizierten Passagieren den Hafen in Richtung New York, „bussines as usual“ war die Devise.

Cholera Station Erika.
Foto: Förderkreis Friedhof Ohlsdorf

Die Reichsregierung greift ein

Bereits am 22. August 1892 waren 1.100 Hamburger an der Seuche erkrankt und 455 gestorben. Die Bevölkerung begann unruhig zu werden, viele Menschen verließen die Stadt. Unzufrieden mit den zögerlichen Entscheidungsprozessen des Senates, setzte die Reichsregierung Robert Koch als „Reichs-Commissar für die Gesundheitspflege im Stromgebiet der Elbe“ ein. Der Hafen wurde als eine erste Maßnahme vollständig abgeriegelt. Koch wurde in Hamburg frostig empfangen, der Senat zeigte sich nicht begeistert über die „Einmischung“ aus Berlin. Inzwischen hat sich die Cholera weiter ausgebreitet, täglich infizierten sich Hunderte neu mit der Seuche. Es mangelt an Kranken- und Leichentransportwagen, an Krankenbaracken und Leichenhallen. Doch noch immer wurden die Schulen nicht geschlossen, die Hotels waren gut belegt. Als Krönung des sich abzeichnenden Chaos gab es anlässlich der Deutschen Apothekertagung in Hamburg ein prächtiges Feuerwerk.  Robert Koch stieß auf eine Situation, in der praktisch noch nichts unternommen worden war. 

Hedwig Koch Japan 1908

Robert Koch reise viel – gern auch in Begleitung seiner zweiten, fast 30 Jahre jüngeren Frau Hedwig.
Foto: Archiv der HU zu Berlin & RKI

Wasser ist nicht gleich Wasser

Durch die Straße „Schulterblatt“ verlief die Grenze zwischen Hamburg und dem preußischen Altona. Daher wurden die Bewohner der einen Straßenseite mit sandfiltriertem Trinkwasser aus Altona versorgt, auf der anderen Seite tranken die Hamburger ungefiltertes Elbwasser. Schon bald fiel auf, dass die Bewohner der „Altonaer Seite“ vollständig von der Cholera verschont blieben, während auf der „Hamburger Seite“ viele an der Seuche erkranken und starben. Besonders auffällig war die Situation im „Hamburger Hof“ Schulterblatt 24. Er lag zwar auf Hamburger Gebiet, wurde aber vom Altonaer Wasserwerk versorgt. Keiner der345 Bewohner erkrankte. Damit war klar – das Ausbreitungsgebiet der Seuche fiel mit dem des Hamburger Trinkwassernetzes zusammen. Am 25. August verließ Koch Hamburg wieder. Zuvor hatte er noch die Auswanderer Baracken am Amerika Kai besucht und die Gängeviertel der Alt- und Neustadt inspiziert. Sein Urteil über die Hamburger Verhältnisse: „Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie in den sogenannten Gängevierteln, die man mir gezeigt hat, am Hafen, an der Steinstraße, an der Spitalerstraße oder an der Niedernstraße. Ich vergesse, dass ich mich in Europa befinde.“ An seine Geliebte und spätere Ehefrau Hedwig Freiberg (1872–1945) schrieb Koch „Als ich nach Hamburg kam, glaubte ich, ein paar Kranke anzutreffen, von denen man nicht recht wüsste, ob sie die Cholera hätten oder nicht. Aber wie anders habe ich es gefunden. Überall Menschen, die noch wenige Stunden vorher vor Gesundheit strotzend lebensfroh in den Tag hineingelebt hatten, und nun in langen Reihen dalagen“.

Cholera Feldlazarett.
Foto: Förderkreis Friedhof Ohlsdorf

Hamburg gibt nach

Robert Koch zwang den Hamburger Senat zum Handeln und ordnet eine Reihe von Maßnahmen an. Obwohl der Senat den Überzeugungen Robert Kochs skeptisch gegenübersteht und außerdem wirtschaftliche Nachteile für die Stadt befürchtete, blieb ihm keine Wahl: Am 26. August wurden Plakate aufgehängt, die vor dem Genuss und Gebrauch ungekochten Leitungswassers warnten, Fasswagen fuhren durch die Stadt und verteilen gratis abgekochtes Wasser, große Brauereien stellen das einwandfreie Wasser ihrer Tiefbrunnen zur Verfügung. Endlich wurden auch die Schulen geschlossen („Choleraferien“) und öffentliche Zusammenkünfte verboten. Zwei Tage später beginnt die Verteilung von 250.000 Flugblättern an alle Haushalte. Jeglicher Verkehr mit Hamburg kam zum Erliegen, und der Handel stand still. Die Werft Blohm & Voss stellte ihren Reparaturbetrieb ein.

Einhundert Jahre nach der letzten Cholera-Epidemie bekamen die Namenlosen Opfer dort, wo sie in Massengräbern bestattet wurden, diesen Gedenkstein. Foto: Krause

Cholera – eine globale Geißel

Cholera Patienten können einen Flüssigkeitsverlusten von bis zu 20 Litern am Tag haben. Sie leiden unter starken Wadenkrämpfen, sind kaum noch ansprechbar und sterben schließlich an Nierenversagen und Kreislaufkollaps. Unbehandelt liegt die Sterblichkeit bei bis zu 60 %; sie kann bei Kindern und alten Leuten aber bis zu 90 % betragen. Auch Unter- oder Fehlernährung tragen zu einer höheren Sterblichkeit bei. Die einzig wirksame Therapie aus heutiger Sicht besteht im raschen Ausgleich des Flüssigkeits- und Salzverlustes; dann liegt die Sterblichkeitsrate bei nur 1 %.

Hochbetrieb auf Ohlsdorf

Am 30. August erreicht die Epidemie ihren Höhepunkt. 484 Menschen sterben, 1.081 erkranken. 125 Arbeiter schaufelten in Tag- und Nachtschichten Gräber auf dem Friedhof Ohlsdorf. Es fehlt an Särgen, die Toten wurden nachts in Massengräbern auf dem neuen Zentralfriedhof Ohlsdorf bestattet. Möbelwagen und Droschken dienten zum Leichentransport. In hastig errichteten Baracken und Zelten wurde die ständig wachsende Zahl der Erkrankten untergebracht. Apotheken verzeichneten Rekordumsätze, dubiose Heil- und Schutzmittel fanden reißenden Absatz. Betrunkene bevölkern das Straßenbild, denn es herrscht der Glaube, Alkohol schütze vor Ansteckung. Besonders Krankenträger und Fahrer von Leichenwagen schienen das tägliche Grauen nur noch im Rausch zu ertragen. Nach zehn Wochen nahm die Zahl der Neuerkrankungen ab. Offiziell waren während der Epidemie 16.956 Menschen erkrankt und 8.605 Hamburgerinnen und Hamburger an der Cholera gestorben. Andere Quellen berichten sogar von 14.530 Toten.

Klares Wasser spendet noch heute im Rathausinnenhof der Hygieia-Brunnen. Er soll an die Opfer der Cholera in Hamburg erinnern.
Foto: Wikipedia

Die Konsequenz

In aller Eile begannen die Hamburger Wasserwerke mit dem Bau einer Trinkwasserfiltration auf der Elbinsel Kaltehofe. Zur Erinnerung wurde bei der Eröffnung des gerade im Bau befindlichen Hamburger Rathauses im Innenhof der so genannte Hygieia-Brunnen aufgestellt. Am 28. Dezember 1892 wurde in Hamburg das Institut für Hygiene und Umwelt gegründet. Die Gängeviertel wurden grundlegend saniert oder abgerissen. Neue Gesetze verboten den Bau unhygienischer Wohnverhältnisse. Das Filtrierwerk der Hamburger Wasserwerke auf Kaltehofe wurde 1893 fertiggestellt. Als erste Stadt Deutschlands bekam Hamburg ebenfalls 1893 eine Müllverbrennungsanlage die 1893 als erste Anlage. 1894 begann der Probebetrieb, 1896 wurde der reguläre Betrieb aufgenommen. Nicht der Senat, sondern die Patriotische Gesellschaft von 1765 setzte im September 1992 den Opfern der Seuche einen Erinnerungsstein.

 

F. J. Krause © SeMa

 

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