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Krimi-Serie (Teil 7)

Der dichtende Raubmörder. Sechs Jahre lang beschäftigte Ernst Hannack Polizei und Justiz.

Seine Einbruchswerkzeuge
deponierte Hannack in der
Gepäckausgabe des Bahnhofs Sternschanze.
Foto © stahlpress Medienbüro

„Sie ist eben ein Kind mit guten Augen und liebender Seele. Sie weiß von nichts, sie folgt einem inneren Trieb, sie folgt mir bis ans Ende der Welt. Und dieses Leben, was ich so ganz lebe, ist mein Leben, ohne dieses Leben wäre ich nicht mehr.“ Das schrieb Ernst Hannack über Anny Henze. Die Zeilen waren an den Staatsanwalt gerichtet, der ihn als Raubmörder und Anny als seine Komplizin im Visier hatte. Hannacks Geschichte ist eine blutige Ballade von Liebe, Poesie und Tod.

Das Ende vom Lied begann im April 1928. In Annys Wohnung in Altona wurden sieben Koffer mit Beute aus Ernsts Einbrüchen beschlagnahmt. Die 24-Jährige war verheiratet, nannte den drei Jahre älteren Hannack aber ihren „Verlobten“.

Sein Gewerbe war ziemlich armselig. Er stahl vor allem Wäsche, seltener goldene Ringe oder ein Perlmutt-Opernglas. Ein großes Ding und weg aus Hamburg, träumte er. Die Schiffspassage war schon gebucht; Hannacks Mutter lebte in Südamerika.

Der Staatsanwalt machte Anny ein Angebot: Sie würde entlassen, wenn sie verspreche, Hannack zu verpfeifen. In einem abgefangenen Brief an ihre Familie schrieb sie: „Wenn ich wählen sollte, ich könnte es nicht, denn ist das eine Wahl? Ernst wird eingesteckt, dann bin ich frei! O Gott, wie bitter!“

Anny willigte zum Schein ein. Unmittelbar nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft traf sie Hannack am Bahnhof Sternschanze, wo sein Einbruchswerkzeug in der Gepäckabgabe deponiert war, und tauchte mit ihm unter. Hannacks großer Coup sollte sein, was die Zeitungen ein „Bravourstück“ nannten, ein Bankraub. Der erste Versuch in Winterhude scheiterte. Hannack und sein Kumpan, der 26-jährige Ernst Külsen, hauten ohne Beute ab. Am 27. Juni 1928 sackten sie bei der Bank in Barmbek-Nord 4500 Mark ein, ließen aber einen Haufen Scheine liegen. Und beim Weglaufen erschoss Hannack den 49-jährigen Angestellten August Bienwald.

Am 27. Juni 1928 erschoss Ernst Hannack bei einem Überfall in Barmbek einen Bankangestellten.
Zeichnung: Uwe Ruprecht © stahlpress Medienbüro

Auf der Flucht hielt sich das Trio mit Einbrüchen über Wasser. Hannack und Külsen plünderten Wohnungen und Geschäfte, Anny versetzte die Sore im Pfandhaus. Nachdem sie eine Konfiserie ausgeraubt hatten, lebten sie eine Woche lang von Schokolade.

Zunächst waren sie in Berlin, dann sonnten sie sich am Strand von Rügen, bis das Geld alle war, und kehrten zurück nach Berlin. Weiter ging es nach Halle, Leipzig, München, Nürnberg, Stuttgart, Dresden, Düsseldorf, Köln, Frankfurt am Main: 99 Straftaten wurden ihnen nachgewiesen. Von unterwegs sandte Hannack Briefe an den Staatsanwalt: „Furcht- barer Hass umkrallte meine Seele.“

Im Herbst zurück in Hamburg begingen sie 62 Einbrüche. Die falschen Pässe, mit denen sie sich nach Montevideo absetzen wollten, brachte die Polizei auf ihre Spur: Am 9. Dezember 1928 wurden sie in einem Hotel in Amsterdam verhaftet.

„Ich will mich ganz und gar der Poesie widmen“, teilte Hannack dem Staatsanwalt mit. „Der Tag des Gerichts wird entschieden durch das Erdenlebenführungspfand, das aus der Radioregistratur wird zu Gott gesandt.“ Zum Dichten gab das Gericht ihm 15 Jahre Muße. Külsen bekam zwölf Jahre, Anny 15 Monate.

Über die Dächer an der Budapester Straße entfloh Hannack der Polizei.
Zeichnung: Uwe Ruprecht © stahlpress Medienbüro

Poesie genügte ihm doch nicht. Im Dezember 1932 entwich Hannack aus dem Zuchthaus Rendsburg. Drei Monate später wurde er in Hamburg erwischt. Um zu essen, ließ er sich auf der Polizeiwache die Handschellen abnehmen, schlug einen Beamten nieder und hechtete aus einem Fenster im ersten Stockwerk. Am 28. März 1933 wurde er auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg erkannt und zog zwei Revolver. Er verschwand in einem Haus an der Budapester Straße und entkam über die Dächer.

Im Sommer schloss er sich der Bande von Adolf Petersen an. Der 51-jährige „König der Einbrecher“ und „Lord von Barmbeck“ hätte eigentlich einsitzen müssen, hatte aber vermutlich einen Deal mit der Justiz. Am 24. Oktober war Hannack um 17 Uhr mit dem „Lord“ bei der Kirche am Mittelweg verabredet. Der Platz war von Polizei umstellt. Hannack roch die Falle, floh schießend und entkam in den Gassen von Pöseldorf. Petersen wurde am Arm verletzt.

„Hannack-Hysterie“ erfasste Hamburg. Überall wurde der Desperado gesichtet. Am 26. Oktober im Bahnhof Bergedorf war er es wirklich. Um sich feuernd rannte er in den Schlosspark. Trotz Streifschuss am Kopf und einer Kugel in der Schulter gab er erst auf, nachdem er direkt vor die Polizeiwache gelaufen war. Auch Adolf Petersen kam in Haft – und erhängte sich in der Zelle.
„Hülle dich in Tand nur und spiele diesen furchtbaren Roman zu Ende, bis alles vorbei“, dichtete Hannack. Nach einem neuen Gesetz der Nationalsozialisten waren seine Schüsse auf Polizisten todeswürdig, auch wenn er keinen getötet hatte. Am 3. März 1934 setzte das Fallbeil den Schlusspunkt unter seine Schauergeschichte.     

 

Volker Stahl © SeMa

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