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Grandseigneur und Sozialdemokrat

Vor 125 Jahren wurde Herbert Weichmann geboren

Foto © Weichmann-Stiftung

Vom jüdischen Wandervogelführer in Liegnitz zum Ersten Bürgermeister Hamburgs – dazwischen ein prall gefülltes Leben, das selbst in den von Verwerfungen und Schicksalsschlägen reichen ersten zwei Dritteln des 20. Jahrhunderts außergewöhnlich genannt werden kann. Am 23. Februar 1896 in Oberschlesien geboren, war ihm nicht an der Wiege gesungen worden, nach etlichen Umwegen einmal in Hamburg zu landen. Verglichen mit der Weichmanns, sind die Biografien seiner Nachfolger geradezu langweilig. So dominierend die Bürgermeister jeweils in ihrer Zeit im Rathaus auch gewesen sein mögen – den achtungsvollen Spitznamen „Gottvater“ trug keiner von ihnen. Hamburgs Nachkriegsbürgermeister waren häufig tüchtige Männer, die als Parteisoldaten ins Amt gelangten. Fast immer im weitesten Sinn in Hamburg oder Norddeutschland sozialisiert. Obwohl Weichmanns Amtszeit als Erster Bürgermeister gut 50 Jahre zurückliegt, vom 9. Juni 1965 bis zum 9. Juni 1971, ist der Sozialdemokrat auch heute noch im Gedächtnis der Stadt außerordentlich präsent.

Ehepaar Weichmann
Elisabeth und Herbert Weichmann, wie die Malerin Almut Heise sie sah. Elisabeth gefiel es nicht – aber sie ist bis zum heutigen Tag die einzige „First Lady“,
die gemeinsam mit ihrem Mann die Ehren-
galerie im Rathaus ziert.
Foto © Pressestelle des Senats

Nur im Doppelpack

Das könnte mit daran liegen, dass es bei allen Unterschieden eine unübersehbare Parallele zu dem bekanntesten Hamburger Politiker, zu Helmut Schmidt, gibt. Wer an Schmidt und Weichmann denkt, denkt fast automatisch auch an deren Ehefrauen Loki und Elisabeth. Wobei sich Elisabeth Weichmann, anders als Loki, direkt politisch engagierte. Sie war von 1957 bis 1974 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft und brachte sich besonders in Sachen Verbraucherschutz, Frauenrechte und Kultur ein. „Ich bin mit einer Frau verheiratet“, so Herbert Weichmann 1971, „die mit mir in einer seltenen Gemeinschaft des politischen Temperaments lebt, der ethischen Vorstellung, man müsste sich in dieser Welt engagieren, das Leben genüge nicht, um  sich nur bereichern zu wollen und eine Position zu erwerben.“

Gemeinsame Flucht

Als Herbert Weichmann vor den Nazis fliehen musste, folgte Elisabeth ihrem Mann 1933 in die Emigration in die Tschechoslowakei. Von Paris aus schrieb er als freier Journalist für bis zu elf deutschsprachige Zeitungen – ab 1935 auf Französisch – auch für in Paris erscheinende Wirtschaftsblätter. Mangelte es an Zeit, sprang seine Frau gelegentlich für ihn ein und schrieb Berichte in seinem Namen: „Ich schrieb sogar seine Meinung, auch wenn ich gar nicht damit übereinstimmte.“, berichtete sie später. „Aber ich wusste ja, wie er dachte.“ Nach Kriegsbeginn 1939 folgten Internierung in Frankreich, später dann ging es über Spanien und Portugal in die USA.

Kuscheltiere und Wirtschaftsprüfung

In New York sicherten erst Gelegenheitsjobs das Überleben; nach einer intensiven Weiterbildung arbeitete Weichmann später als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater. Über mehrere Stationen stieg er zum Sozius einer Kanzlei auf und betreute dort einen eigenen Kundenstamm. Elisabeth Weichmann gründete 1945 eine Kuscheltier-Näherei am Rande von Harlem, die zehn Angestellte beschäftigte. Seit dem Spätsommer 1943 waren die Eheleute „permanent residents“ und hatten die amerikanische Staatsbürgerschaft. In den USA vertiefte sich auch der Kontakt zu Max Brauer, dem von den Nazis vertriebenen Oberbürgermeister Altonas und ersten frei gewählten Nach-kriegsbürgermeister Hamburgs. Ein Kuriosum damals – gewählt wurde nach englischem Vorbild nach Mehrheitswahlrecht. Die SPD gewann 83 von 110 Sitzen – bei nur 43 Prozent Stimmenanteil.

Foto © Weichmann-Stiftung

Hamburg aufbauen

Max Brauer bewegte Herbert Weichmann 1948 zur Rückkehr nach Deutschland und bot die Leitung des Rechnungshofs an. Ein Jahr später gibt auch seine Frau ihren wirtschaftlich sicheren Job in den USA auf, um ihrem Mann nach Hamburg zu folgen. Nach einem bürgerlichen Intermezzo gewann die SPD mit 53,9 Prozent die Stimmen- und Sitzmehrheit in der Bürgerschaft. Weichmann wurde im Senat Brauer II 1957 Finanzsenator. Nach dem Rücktritt Brauers Nachfolgers Paul Nevermann 1965 übernahm Herbert Weichmann das Amt des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg, die er bis 1971 regierte. Im selben Jahr ernannten ihn Senat und Bürgerschaft zum Ehrenbürger. Herbert Weichmann starb am 9. Oktober 1983, Elsbeth Weichmann am 10. Juli 1988.

Was blieb – was nichts wurde

An Weichmann erinnert in Hamburg nicht nur die Herbert-Weichmann-Straße. In der Ära Weichmann wurden wichtige Bau- und Verkehrsprojekte auf den Weg gebracht. Hierzu zählt das Congress Centrum Hamburg, damals das erste moderne Kongresszentrum, die Fertigstellung des Hamburger Fernsehturms, die Schaffung des Hamburger Verkehrsverbundes mit der Etablierung der City-S-Bahnen, die Inbetriebnahme des AK Altona, der schrittweise Bau und Bezug der City Nord, der Baubeginn des Neuen Elbtunnels, der Bau der Köhlbrandbrücke und die Ansiedlung einer Aluminiumhütte im Hafenerweiterungsgebiet Hamburg-Finkenwerder. Nachhaltig waren Weichmanns Akzente in der Hafenpolitik. 1966 war der Bürgermeister noch skeptisch, ob die Zukunft des Seehandels mit der Containerschifffahrt verbunden sein würde. Bereits im Jahr 1967 stimmte er aber dem Ausbau des Burchard-Kais zum Containerterminal zu. Damit begann das Containerzeitalter im Hamburger Hafen. Nicht alle unter Weichmann angestoßenen Vorhaben ließen sich realisieren: Die Planungen für den Bau eines Tiefseehafens in der Elbmündung in den 1970er Jahren verliefen im Sande – der Flughafen Kaltenkirchen wurde nie gebaut.     

 

F. J. Krause © SeMa

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