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Hier fährt kein Bus ab

Trauerhaltestelle auf dem Friedhof Ohlsdorf

Eine Haltestelle zum Trauern – was hätte Friedrich Rückert, dem wir 428 ergreifende Kindertotengedichte verdanken, die er kurz nach dem Tod zweier seiner damals sechs Kinder schrieb, dazu gesagt? Er hat seine Trauer in Gedichten verarbeitet – doch nicht jedem ist es gegeben, Gedichte zu schreiben. Fünf der Verse sind durch die Vertonung von Gustav Mahler „unsterblich“ geworden. Mahler hatte elf Geschwister, von denen sechs im Kindesalter starben. Trauer und ihre Ausdrucksformen sind so vielfältig wie die der Liebe. Nicht selten haben Trauer und Liebe gemeinsame Wurzeln. Gemeinsam ist beiden – ihnen muss Raum und Zeit gegeben werden. Beides soll seit Mitte des Jahres die „Trauerhaltestelle“ tun, die am Teich bei der Mittelallee auf dem Friedhof Ohlsdorf steht. Gestaltet von der Architektin Mareile Höring und der Designerin Solveig Trzebiatowski im Auftrag des Kuratoriums Deutsche Bestattungskultur e. V., ist dort zwischen zwei massiven Beton- klammern ein geschützter Raum zum „würdevollen Abschied-nehmen“ entstanden. Er liegt relativ zentral und steht jedermann offen. Im Inneren kann man verweilen, Blumen ablegen und sogar mit Kreide Botschaften hinterlassen. Anders als bei Grabsteinen, die oft über Jahrzehnte an einen Verstorbenen erinnern, wird hier im doppelten Sinn die Vergänglichkeit alles irdischen widergespiegelt – Regen und andere Witterungseinflüsse dürfen und sollen Trauer „abwaschen“. Ob bewusst oder unbewusst, die beiden jungen Frauen haben mit der Einbindung der abwischenden Funktion der Elemente in ihre „Haltestelle“ an die biblische Offenbarung des Johannes angeknüpft, in der es heißt „... und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“ Soweit die Theorie – doch wie ist die Realität?

Beim Besuch im Oktober – nur wenige Wochen nach der offiziellen Eröffnung der Trauerhaltestelle – bietet sich ein differenziertes Bild. Auf den ersten Blick glaubt man sich in eine der Hamburger Unterführungen versetzt, deren Wände von „Künstlerhand“ beschriftet wurden. Ist das ein Ort der Trauer? Beim zweiten Blick springen kurze Texte ins Auge – ja, da haben Menschen etwas gesagt, haben versucht ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. Zeichen der Liebe finden sich – Liebe zu Verstorbenen wie auch ganz junge, lebendige Liebe. Wer „ordentlich“ trauern will, der ist hier nicht richtig aufgehoben, so mögen die einen denken. Andere empfinden die verwischten Schriftzüge möglicherweise mit ihrer Symbolkraft als wohltuend. Die Friedhofsverwaltung greift nicht ein – sie lässt es geschehen.  „Wir haben lediglich den Platz zur Verfügung gestellt“, so Lutz Rehkopf von der Öffentlichkeitsarbeit und Unternehmenskommunikation der Hamburger Friedhöfe -AöR-, „alles Weitere liegt beim Kuratorium Deutsche Bestattungskultur e. V., das auch für die Pflege der Anlage zuständig ist.“ Es wird sich zeigen, ob und wie die Trauerhaltestelle genutzt wird. Leider sind erste Spuren von Vandalismus erkennbar, der den eigentlichen Zweck der Haltestelle mittelfristig überdecken und ins Gegenteil verkehren könnte. Andererseits, wenn es gelingen würde, hier für Menschen aller Religionen, Kulturen und Weltanschauungen einen verbindenden Ort der Trauer zu schaffen, dann wäre der Ursprungsgedanke zweier junger Frauen auf fruchtbaren Boden gefallen. Ob das gelingt, liegt ausschließlich in den Händen der Menschen, die hier eintreten.                         

 

Fotos und Texte F. J. Krause © SeMa

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