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Wolfgang Borchert

Ein kurzes Leben im Stakkato

So sah er sich gern – Wolfgang Borchert als flotter junger Mann.

Ihre Geburtstage liegen dicht beieinander: Am 20. Mai 1921 wurde der eine als Lehrerssohn in Hamburg-Eppendorf, Tarpenbekstraße 82, im dritten Stock geboren – der andere als Adelsspross am 10. Juni 1921 im Schloss Mon Repos auf Korfu in Griechenland. In diesem Jahr, 100 Jahre später, stehen sie aus ganz unterschiedlichen Gründen im Zentrum öffentlichen Interesses. Prince Philip, Duke of Edinburgh, der Prinzgemahl der britischen Königin Elisabeth II., weil er nach einem langen Leben an der Seite – andere sagen auch im Schatten – der Königin von England gelebt hat und am 9. April fast 100-jährig gestorben ist – Wolfgang Borchert, weil er am 20. Mai 2021 100 Jahre alt geworden wäre. Schon einmal stimmten die Lebensdaten beider Männer überein: Am 20. November 1947 heiratete Prinzessin Elisabeth von Großbritannien in London den Marineleutnant Philip Mountbatten, Herzog von Edinburgh. Am selben Tag starb im St. Claraspital in Basel Wolfgang Borchert. Einen Tag später wurde in den Hamburger Kammerspielen sein Nachkriegsdrama „Draußen vor der Tür“ uraufgeführt. Immerhin konnte er noch miterleben, dass die am 13. Februar 1947 vom Nordwestdeutschen Rundfunk ausgestrahlte Hörspielfassung seines Nachkriegsdramas nicht nur von der Kritik, sondern auch von den Menschen an den Radioapparaten begeistert aufgenommen wurde. Viele sahen ihr Spiegelbild in der Gestalt des Kriegsheimkehrers Beckmann, dem es nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft nicht gelingt, sich wieder ins Zivilleben einzugliedern. „Während er noch durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs geprägt ist, haben seine Mitmenschen die Vergangenheit längst verdrängt. Auf den Stationen seiner Suche nach einem Platz in der Nachkriegsgesellschaft richtet Beckmann Forderungen nach Moral und Verantwortung an verschiedene Personentypen, Gott und den Tod. Am Ende bleibt er von der Gesellschaft ausgeschlossen und erhält auf seine Fragen keine Antwort“, so Wikipedia. Dieses Werk ist es auch, das Borchert zum bedeutendsten Vertreter der Literatur der Nachkriegszeit, der „Trümmerliteratur“, werden ließ. Seine dunkle Seite wurde als charakteristisch für die Persönlichkeit des Mannes gedeutet und überschattet bis heute die Vita eines Mannes, dessen Leben von Brüchen gezeichnet war.

Hatte er einen Plan für sein Leben? Ja, viele Pläne sogar. Und er weiß noch mehr, was er nicht will. Der Lehrerssohn verlässt im Dezember 1938 ohne Abschluss nach der Obersekunda die Oberrealschule Eppendorf an der Hegestraße. Seine Eltern bringen ihn als Lehrling in der Buchhandlung C. Boysen unter. Auch die Lehre bricht er ab. Längst sieht er seine Zukunft auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Schon als Lehrling nimmt er Schauspielunterricht bei Helmuth Gmelin. Für ein Leben als Schauspieler hält er durch. Gustav Gründgens, den er im Thalia Theater als Hamlet gesehen hat, ist sein Vorbild. Erfolgreich legt er seine Schauspielprüfung ab, bereits am 3. April 1941 wird er von der Landesbühne Osthannover, einem Tourneetheater mit Sitz in Lüneburg, engagiert. Nur drei Monate währt „seine kurze, wunderbare Theaterzeit“. Doch es ist Krieg; im Juni 1941 beendete die Einberufung die „schönste Zeit“ seines Lebens, wird er aus seinem „Lebenstraum gerissen“. Seit seinem 15 Lebensjahr schreibt Borchert. Er bringt Lyrik, die ihm förmlich aus der Feder fließt, zu Papier. Der junge Mann, der jede Art von Schablonenleben verabscheut, wird gedrillt, muss an die Front in Russland. Er wird verletzt – verletzt sich möglicherweise selbst – erleidet Erfrierungen, wird schwer krank. Seinen Mund kann er auch nicht halten. Selbst wenn er schreibt, ist er unvorsichtig. Der Mann passt nicht in das NS-System. Mehrfache Haft, die Möglichkeit, sich an der Front zu „bewähren“ inbegriffen, soll ihn passend machen. Körperlich schwer angeschlagen, gerät er in Kriegsgefangenschaft, flieht und schlägt sich zu den Eltern nach Hamburg durch. Hier findet er Zuflucht. Und schreibt nun überwiegend Prosa auf jedes nur erreichbare Stück Papier, eine der Mangelwaren im Nachkriegsdeutschland.  Die „Reinschrift“ erledigt der Vater mit der Schreibmaschine. Es geht Borchert schlecht, doch noch gibt er sich nicht auf.

Wolfgang Borchert Geburtshaus.

>> Ich bin ein Reiter,
stürmend durch die Zeit!
Durch die Wolken führt mein Ritt –
Mein Pferd greift aus!
Voran! Voran! <<

So beginnt sein 1938 im „Hamburger Anzeiger“ veröffentlichtes Gedicht. Stürmen kann er nicht mehr. Selbst in der Wohnung muss er sich beim Gehen festhalten. Mut machen ihm kleine Erfolge seiner „Storys“. Borchert hat in seinem kurzen Leben seiner Heimatstadt einige literarische Kränze geflochten – auch solche mit Dornen. Hamburg seinerseits hat ihm an der Alster beim Literaturhaus ein nicht zu übersehendes Denkmal gesetzt, das etwas einseitig die zerrissene Persönlichkeit des Dichters reflektiert. Dort sind die Worte von Wolfgang Borchert zu lesen: „Wir sind die Generation ohne Bindung und ohne Tiefe. Unsere Tiefe ist der Abgrund.“ Warum Borchert nicht zu Ende zitiert wird, ist schleierhaft. Denn das Zitat geht weiter: „Wir sind eine Generation ohne Abschied, aber wir wissen, dass alle Zukunft uns gehört.“ Aber nicht ihm. Von seinen Verlegern organisiert und bezahlt, tritt der schwer kranke Borchert im November 1947 allein die Fahrt mit der Bahn nach Basel an. In Davos soll er sich auskurieren. Doch um dahin zu gelangen ist er zu schwach. Im St. Claraspital in Basel stirbt Wolfgang Borchert am 20. November 1947.

Die Persönlichkeit des Dichters allein an seiner „Trümmerliteratur“ zu messen wird ihm nicht gerecht. Denn Borchert konnte nicht nur anders, er war auch anders. Obwohl er in seinem kurzen Leben durch die Nazidiktatur Gewalt und Unrecht erfahren hat, wird von ihm berichtet, dass er von einer positiven Lebenseinstellung geprägt war. So ist es wohl ganz besonders die Erzählung „Schischyphusch oder der Kellner meines Onkels“, die diese Seite Wolfgang Borcherts aufscheinen lässt. In Schischyphusch schildert Borchert aus dem Blickwinkel eines Jungen, wie die Welten zweier Erwachsener, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten, aufeinanderprallen. Aber eines verbindet die Hauptprotagonisten in diesem kleinen Welttheater: Es ist ein Zungenfehler, den Kellner und Onkel haben. Zwar unterschiedlicher Ursache – in der Außenwirkung jedoch gleich. Weinen und Lachen liegen in dieser Erzählung ganz dicht beieinander – wie auch im Leben des Mannes, dessen Urne seit dem 17. Februar 1948 auf dem Ohlsdorfer Friedhof ruht. Seinen Nachlass betreut die Staatsbibliothek. Anlässlich des 100. Geburtstages wurde dort ein Ausstellungsraum gestaltet, in dem das Borchert-Zimmer mit Originalexponaten nachgebaut wurde. Es wird als „digitaler Zwilling“ mit vielen Hintergrundinformationen und Objektgeschichten auch über die Website borchert.sub.uni-hamburg.de erreichbar sein. Das gilt zudem für eine Karte mit dem Titel „Borcherts Hamburg“ und weitere Informationen zur Ausstellung „Dissonanzen. Wolfgang Borchert (1921–1947)“. Die Eröffnung der Ausstellung ist für den 11. Mai geplant. Zu sehen ist sie in der Staatsbibliothek, Von-Melle-Park 3, in 20146 Hamburg.                                     

 

Text: F. J. Krause © SeMa, Bilder: © Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg

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