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Auch wir sind drin: Senioren@Digitalisierung

Als vor etwa vier Jahren der Otto Versand zum letzten Mal 656 Seiten voll mit Mode und mehr druckte, ging eine Ära zu Ende. Der Katalog, der seit der Premiere 1950 als handgebundenes Exemplar für Generationen ein Einkaufsbegleiter war, wanderte aus ins Internet. Otto hatte recht: Das Internet ist nicht nur was für junge Leute. Auch Oldies sind online: So ist fast jeder Zweite über 60 Jahren mindestens einmal im Monat zum Shopping im Internet unterwegs. Fast jeder Fünfte macht das täglich, so eine Basisuntersuchung, die erstmals den – digitalen – Medien-Umgang von Senioren unter die Lupe nimmt. Viele der Älteren erinnern sich vielleicht: Um die Jahrtausendwende versprach Boris Becker im Werbespruch „Ich bin drin“, wie leicht es war, ins Internet zu kommen. Damals blieben viele Ältere draußen vor der Tür. Otto sagt selbst, es war damals ein „töricht erscheinender Gedanke, Menschen den Schuhkauf von zu Hause aus zu ermöglichen oder 45 Jahre später das Internet als Verkaufsplattform zu nutzen. Viele unkten damals: Das Internet – setzt sich ohnehin nicht durch.“ Das ist heute anders. Senioren haben nicht nur das Internet längst für sich entdeckt, 81 Prozent ab 60 Jahren sind Onliner. Sie haben auch andere Dinge der digitalen Welt erschlossen. Fernsehgeräte und Radios stehen in fast jedem Senioren-Haushalt. Einen Internetanschluss haben 83 Prozent, 77 Prozent einen Computer, 72 Prozent ein Smartphone. Soziale Netzwerke wie Facebook oder Instagram spielen bei der älteren Internetnutzung eine untergeordnete Rolle: 55 Prozent der Ab-60-Jährigen nutzen Videoportale: 23 Prozent Onlinespiele. Technik, die begeistert – auch Senioren.

Kaufen

Aber: Es ist alles eine Frage des (Senioren-)Alters und des Geschlechts: 92 Prozent der Personen zwischen 60 und 69 Jahren, 82 Prozent zwischen 70 und 79 Jahren und 51 Prozent ab 80 Jahren sind Onliner. Männer über 60 nutzen mit 86 Prozent eher das Internet als Frauen mit 77 Prozent. 53 Prozent der Onliner zwischen 60 bis 69 Jahren und 44 Prozent der Onliner zwischen 70 und 79 Jahren gehen mindestens einmal die Woche onlineshoppen, und immerhin noch 25 Prozent der Onliner über 80 Jahren. Und es sind eher ältere Männer (53 Prozent) als ältere Frauen (40 Prozent), die einmal im Monat den Büdel aus Stoff gegen das Netz aus Daten tauschen.

Konten

Und auch andere Alltagsgeschäfte werden am Bildschirm erledigt: 40 Prozent der Älteren nutzen mindestens einmal das Online-Banking. Immerhin jeder zweite ab 60 schaut grundsätzlich auf den digitalen Bankschalter. Aber auch hier scheiden sich die Geister mit dem Alter. Nur noch 38 Prozent der Senioren zwischen 70 und 79 Jahren und jeder Vierte ab 80 Jahren kann sich mit der Bank am Bildschirm anfreunden.

Kompliziert

Diese Zahlen muss man allerdings auch gegen den Strich bürsten: Wenn 81 Prozent Onliner sind, sind 19 Prozent außen vor. Die einen finden den modernen Krams zu kompliziert oder sind mit dem zufriedenen, was sie immer hatten: „Mir reicht die Tageszeitung.“ Die anderen sagen: „Mit Computern will ich nichts mehr zu tun haben“, den anderen fehlt einfach der Zugang zur digitalen Welt. Andere, gerade Menschen über 80, sind unsicher, wie es geht. Das Smartphone und digitale Dienste per gewohntem Telefon sind jedoch nicht nur für sie zuweilen verzwickt wie früher Gummi-Twist.

„Wenn Sie unser Produkt kennenlernen wollen, drücken Sie bitte die Eins. Wenn sie direkt Zugang haben wollen, drücken sie die Zwei, Wenn sie direkt auf  ihre Daten zugreifen wollen, drücken Sie bitte die Drei und nutzen vorher eine TAN über die Sicherheits-App ihres Smartphones.“ Was da so freundlich wie sonor durchs Telefon kommt, erzeugt zuweilen nur ein „Ha“ – was tun? Und bevor die ferne Stimme mit den Worten: „Wenn Sie mehr wissen wollen, bleiben sie in der Leitung“ einen leibhaftigen Menschen verspricht, ist es zuweilen zu spät: „aufgelegt. Gerade für Ältere sind diese verzweigten Info-Systeme ein unübersichtlicher, digitaler Dschungel.

Den will nun der Hamburger Senat lichten. Die Pandemie habe deutlicher denn je den Bedarf gezeigt, die digitale Teilhabe von Senioren zu fördern. Der Lock- down in Heimen und Seniorentreffs zermürbte. Treffen mit Enkeln wurden untersagt, Kranke bekamen keinen Besuch, Glasscheiben überall. Das trieb viele in die Einsamkeit. Der Senat spendiert daher 770.000 Euro, um die Digitalkompetenz und die Seniorinnen- und Seniorenbegegnungsstätten zu stärken. Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank verspricht in der Mitteilung, die Digitalisierung zu beschleunigen. Sie „bietet für alle Altersgruppen neue Chancen und Möglichkeiten. Daher ist es wichtig, dass wir digitale Teilhabe barrierearm und niedrigschwellig für alle Menschen zugänglich machen.“

Kultur

Vergangenes Jahr lag die Stadt Hamburg erneut auf Platz eins der Rangliste der digitalsten Großstädte – und darf sich Smart City nennen. Schon sprachlich passt ein Projekt der Hamburger Bücherhallen zu dieser Auszeichnung. Im Projekt SILBER & SMART beraten Ehrenamtliche jeden Mittwoch über den Videokonferenzdienst  Zoom zu Tablet, Smartphone und Internet. Lotte Hobby, Koordination SILBER & SMART sieht internetkundige Senioren klar im Vorteil, da das „Netz“ ihnen soziale und kulturelle Teilhabe und niedrigschwellige Kontakte mit Kindern, Enkeln und Freunden ermöglicht: „Sie können an Veranstaltungen, Museumsbesuchen und mehr teilnehmen, auch wenn sie körperlich eingeschränkt sind. Und sie haben Zugang zu vielen Informationen.“ 

Auch Hobby erinnert sich an die Pandemie, die viele ins Alleinsein drängte: „Wir konnten in Corona-Zeiten teilweise keine Präsenz-Veranstaltungen abhalten. Notgedrungen sind wir auf Videokonferenztools umgestiegen, damit konnten wir aber nur diejenigen erreichen, die zumindest leichte Vorkenntnisse hatten. Eine Zeitlang während Corona haben unsere Ehrenamtlichen auch per Telefon unterstützt, das ist aber natürlich schwieriger, als in einer Videokonferenz mit der Möglichkeit der Bildschirmteilung.“ Die Bücherhallen werden so dank SILBER & SMART zu einem Ort der Chancen und der Medienkompetenz. Hier werden aus grantigen Grauhaarigen smarte Silversurfer, so nennt das Marketing die Oldies online.
 

Kontakte

Das sieht auch Karin Haist, Programmleiterin Demografische Zukunftschancen/Körber-Stiftung/Bereich Alter und Demografie, so: „Digitale Medien ermöglichen älteren Menschen eine umfassende Teilhabe an der Gesellschaft. Das umfasst Information durch das Internet, Kommunikation, wenn die Großeltern an der Familien-WhatsApp-Gruppe beteiligt sind, aber auch Begegnung, etwa auf Online-Plattformen. Die Corona-Zeit hat drastisch gezeigt, wie wichtig die digitale Anbindung gerade für Ältere ist: Die „Nonliner“ unter den Senioren litten oft mehr unter fehlenden Kontakten als unter der Angst vor Ansteckung. Digitale Medien sind immer auch eine wichtige Möglichkeit, Einsamkeit zu vermeiden.“

Haist aber sieht positive Effekte des Internets nicht nur, weil Ältere über digitale Medien miteinander in Kontakt kommen und zuweilen wirklich beschwerliche Räume überbrücken können. Es kann für ältere Menschen auch nützlich sein, um den – vielleicht eingeschränkten Horizont zu erweitern. Sie denkt dabei an „Gaming“, also Einsatz digitaler Spiele, die „zur Aktivierung körperlich oder mental eingeschränkter Menschen beitragen. Und Virtual Reality, also das digitale Eintauchen in Räume, die dem analogen Leben nachempfunden sind, ist eigentlich wie gemacht für Ältere. Die intuitive Bewegung und Begegnung in solchen virtuellen Welten braucht gerade keine komplizierte Kenntnis von Icons, Tabs und Browsern. Und auch für das gute Leben im eigenen Heim und im öffentlichen Raum können smarte Technologien vieles verbessern: vom Einbruchschutz bis zur smarten Ampelschaltung.“ Doch Haist sieht auch Gefahren, wenn etwa digitale Hilfen etwa durch Pflegedienste persönliche Zuwendung ersetzen: Und es sei ethisch fragwürdig, „wenn zum Schutz Älterer, besonders Demenzkranker, in einer Wohnung alles von Sensoren kon-trolliert wird, Licht, Temperatur, Bewegung des Bewohners, selbst die Häufigkeit von Badezimmerbesuchen.“

Crashkurse

Auch Christa Möller-Metzger Sprecherin für Senior*Innenpolitik, in der GRÜNE Bürgerschaftsfraktion, wägt Chancen und Gefahren ab: „Für mobilitätseingeschränkte Menschen ist es wunderbar, dass sie online bestellen, sich informieren oder schöne Orte ansehen können, die sie selbst nicht mehr so leicht erreichen. Sie können sich von der Ärztin beraten lassen, bequem von zu Hause aus. Aber auch für alle anderen ist es toll, wenn man sich Filme ansehen kann, mit Freunden und der Familie chattet oder Bilder von den Enkeln bekommt, auch wenn die weit entfernt wohnen. Und das funktioniert an jedem Ort mit WLAN, auch im Pflegeheim.“

Gerade in der  Corona-Zeit wurde augenfällig, wie viele ältere Menschen digital abgehängt waren. Viele versauerten aus Angst zu Hause – ohne Anschluss an die analoge aber auch die digitale Welt: „Da hat so mancher einen Online-Crash-Kurs von der Familie bekommen, um Kontakt halten zu können. Wer in dieser Zeit offline war, hat sich oft sehr einsam gefühlt. Besonders Pflegeheim-Bewohner, die wochenlang keinen Besuch hatten und ganz allein in ihren Zimmern saßen. Spätestens da ist vielen Menschen, alten und jungen, klar geworden, welche Rolle die Digitalisierung heute in unserem Alltag spielt.“ Die Grüne-Senioren-Lobbyistin ist froh, dass Hamburg sogenannte Digitalmentoren hat. Sie zeigen älteren Menschen, wie das Internet funktioniert: „Wir müssen darauf achtgeben, dass niemand allein gelassen wird.“    Das gilt beim Online-Banking, bei Terminen für Ausweisverlängerungen oder beim Kauf von Tickets für Bahn, Bus oder Schwimmbad. Außerdem nützt es nichts, die Digitalisierung zu verteufeln. Wer in der Hamburger U-Bahn eine verbilligte Karte kaufen will, kann das nur online.     

Dr. H. Riedel © SeMa

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