Schrift ändern:AAA

Beschrankt mehr Ruhe auf Ohlsdorf

„Im Heimatkundeunterricht“, so berichtete einst der in der Nähe des Friedhofs Ohlsdorf aufgewachsene Michel-Hauptpastor Alexander Röder, „habe ich noch gelernt, dass Autofahrer auf dem Friedhof anhalten und aus dem Wagen steigen, wenn sich ein Trauerzug nähert.“ Diese Zeiten sind längst vorbei. Heute „rollt“ der Verkehr auf Ohlsdorf. Ehrerbietung, wie sie dem kleinen Alexander in der Schule noch vermittelt wurde, wäre da nur hinderlich. Bisher, so die Beobachtung der Friedhofsverwaltung, befuhren rund 8600 Pkw arbeitstäglich den Friedhof. Davon, so ist man sicher, nutzten 5000 die Route als Abkürzung zwischen Ohlsdorf und Bramfeld. Verboten war das schon immer. Doch, wo Verbote nichts nützen, müssen härtere Bandagen her, entschieden die für den Friedhof zuständige grüne Umweltbehörde und die Friedhofsleitung. Eine Schranke auf der Mittelallee zwischen den Kapelle 9 und 12 soll es nun richten. Das SeMa sprach mit Lutz Rehkopf, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Hamburger Friedhöfe-AöR, über die neue Errungenschaft.

SeMa: Ab wann genau gilt die Beschränkung?

L.R.: Formal gilt sie schon immer, seit dem 09.10.20 wird sie mithilfe des Schrankensystems durchgesetzt.

SeMa: Wurden andere Möglichkeiten geprüft, den Durchgangsverkehr zu stoppen, und welche waren das?

L.R.: Ja. Unregelmäßige, zeitweise Schließung der Ausfahrten, Schranken an den Einfahrten, Abschnittskontrolle (Erfassung der Autokennzeichen zum Zweck der Zeitnahme, um Durchfahrende zu identifizieren oder die Ausfahrt nur dort zuzulassen, wo eingefahren wurde), Einbahnwege und Umleitungen von der Mittel- und Cordesallee, Schwellen und Hindernisse, vollständige Schließung des Friedhofs für private Kfz.

SeMa: Es soll möglich sein, in bestimmten Fällen die Schranke zu passieren, ohne beruflich auf dem Friedhof unterwegs zu sein. Wer erhält eine Ausnahmegenehmigung?

L.R.: Nutzungsberechtigte, also Grabbriefinhaber, die mehr als eine Grabstätte auf dem Friedhof haben, die durch die Schranke getrennt sind. Den Antrag stellt man am besten schriftlich. Wir ermitteln die Grablagen und händigen den Chip (Transponder) zum Öffnen der Schranke aus. Die Übergabe erfolgt ohne Kosten. Wer den Chip verliert, zahlt eine Gebühr von EUR 200,–. Eine Ausnahme, zum Beispiel für Schwerbeschädigte, gibt es nicht.

SeMa: Die Schranke hat allein schon fast eine halbe Million Euro gekostet. Wie hoch veranschlagen Sie die jährlichen Kosten?

L.R.: Die laufenden Kosten werden im Betrieb ermittelt. Es werden 25.000 Euro für die technische Betreuung an die Sprinkenhof AG entrichtet.

SeMa: Gibt es keine Befürchtungen, dass die touristische Anziehung Ohlsdorfs leiden könnte?

L.R.: Nein, das befürchten wir nicht.

SeMa: Besucher, die bisher den Haupteingang nutzten um den Bereich jenseits der Schranke bei den Kapellen 9, 11, 12 und 13 zu erreichen, werden nun die Einfahrten Kornweg, Bramfelder Chaussee und Seehof passieren, die mehrheitlich in reinem Wohngebiet liegen. Ist berücksichtig worden, dass dann dort der Pkw-Verkehr zunimmt?

L.R.: Wird berücksichtigt, dass der Durchfahrtsverkehr mehr als die Hälfte des gegenwärtigen Verkehrs ausmacht, der über den Friedhof führt, und dieser die Wohngebiete belastet, ist mit einer Reduzierung der Gesamtbelastung umliegender Gebiete zu rechnen. Zusatzbelastungen treten auf den Verkehrswegen Bramfelder Chaussee, Fabriciusstraße und Fuhlsbüttler Straße auf, die vertretbar sind.

SeMa: Sind die Anwohner gefragt worden?

L.R.: Mit den Maßnahmen zur Beendigung der Durchfahrten wird geltendes Recht durchgesetzt. Es hat 2016 und 2018 breite Beteiligungsverfahren gegeben, bei denen 2018 in vier Veranstaltungen in den Kapellen 1, 3, 6 und 13 das Durchfahrts-Problem ausführlich dargestellt wurde. Maßnahmen gegen Durchfahrten wurden dabei teils vehement gefordert. Bei den Nachbarschaftscafés bestand eine eindeutige Mehrheitsmeinung gegen Durchfahrende und die Fortsetzung des Status quo.

SeMa: Angehörige, die sich für ein Grab jenseits der Schranke entschieden haben, müssen nun feststellen, dass sich die Zufahrt zum Grab erschwert und damit auch verteuert hat. Ein Pauschalurlauber würde vermutlich bei einer vergleichbaren Situation über eine Klage zum Zweck der nachträglichen Preisminderung nachdenken. Ist die Schranke in dieser Hinsicht juristisch wasserdicht?

L.R.: Ja.

SeMa: Unter welcher Bedingung kann die Schranke passiert werden, ohne Nutzungsberechtigter zu sein?

L.R.: Teilnahme an einer Trauerfeier/Beisetzung/Trauer-café/Grabauswahl, und zwar an Werktagen von 9 bis 16.15 Uhr (im Winter bis 15.30 Uhr), am Samstag maximal von 10 bis 15 Uhr (entsprechend der Trauerfeiern). Sonntags wird die Schranke nicht bedient.

Eigentlich haben die Deutschen mit Schranken keine guten Erfahrungen, und „beschrankt“ und „beschränkt“ liegen sprachlich dicht beieinander. Ob hier nicht zuungunsten der Friedhofsbesucher mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird, ist überlegenswert. Denn es gibt lediglich 5200 Bürger mit zwei und mehr „Nutzungsberechtigungen“. Wie hoch der Anteil dieser Grabbriefinhaber mit Gräbern, die auf beiden Seiten der Schranke liegen, ist, wurde noch nicht geprüft. Deren Anteil dürfte vermutlich deutlich niedriger liegen. Nur die können auf Antrag einen Transponder erhalten. Schon bei der Einweihung zeigte das System Schwächen. Auch ist die über der Einfahrt beim Haupteingang angebrachte Information „Keine Ausfahrt über Bramfeld, Seehof, Kornweg!“ irreführend. Denn wer lediglich von hier ein Grab, zum Beispiel bei Kapelle 13, besuchen will und nicht die Absicht hat, in Bramfeld auszufahren, bleibt gnadenlos an der Schranke hängen. In der acht Geschichten umfassenden Sammlung „Der Tod von Reval“ von Werner Bergengruen, über das Sterben und Leben in der alten Hansestadt, heißt es: „Jeder Tod hat sein Gelächter“. Ohlsdorf bietet nun das Zeug zu einer neunten Geschichte. Denn direkt hinter der Einfahrt an der Fuhlsbüttler Straße prangt in goldenen Lettern der Spruch: „Eingänge sind Übergänge“. Das stimmt – aber auf Ohlsdorf dank Schranke nur noch sehr bedingt.  „Wer GRÜN wählt“, so spöttelte weniger prosaisch ein nun „Unberechtigter“ verärgert, der bisher ungestört regelmäßig mit dem Auto beide von der Schranke getrennten Friedhofsteile besuchte, „wird Gängelei, Behinderungen und Verbote ernten.“ Den Toten aber sei die nun erzwungene, noch ruhigere ewige Ruhe gegönnt. 

 

Text und Fotos: F. J. Krause © SeMa

Analyse Cookies

Diese Cookies ermöglichen eine anonyme Analyse über deine Webseiten-Nutzung bei uns auf der Seite

Details >Details ausblenden