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Parkfriedhof Ohlsdorf

Und keiner wollt’ der Erste sein – vor 145 Jahren wurde der Parkfriedhof Ohlsdorf eröffnet!

Sehr ärgerlich. Da hatte der Hamburger Senat ordentlich Geld für ein Gutachten ausgegeben – und auch in anderen Großstädten sozusagen Marktforschung betrieben. Tüchtige Leute haben die Kostenrechnung gemacht. Ein Spitzenmann hat das Projekt umgesetzt. Dennoch – der wirtschaftliche Erfolg ließ auf sich warten. Es kamen schon Kunden, aber leider die falschen. Die Zahlungskräftigen, die das Geld bringen sollten, zogen, sehr zum Kummer des Senates, weiterhin die kirchlichen Angebote vor. Das war bitter. Aber, damals wie heute siegte letztlich die ‚öffentliche Hand‘ bei dem Bemühen, dem Bürger das Geld aus der Tasche zu ziehen; selbst aus dem letzten Hemd, das ja eigentlich gar keine Taschen haben soll.

Die Geschichte vor der Geschichte

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es in Hamburg innerhalb und außerhalb der umwallten Stadt 21 verschiedene Begräbnisplätze. Begraben wurde der Bürger in dem Stadtteil, in dem er auch gewohnt hatte. Diese Regelung war keine Hamburger oder gar deutsche Erfindung. Sie galt z. B. auch in Paris. Es wird berichtet, dass der in einer Hassliebe mit Hamburg verbundene Dichter Heinrich Heine (1797–1856) extra umgezogen sei, um auf dem damals als „in“ geltenden Friedhof Montmartre beigesetzt zu werden. Ein Mann mit Weitblick, denn durch die zentrale Lage bekommt er bis zum heutigen Tage regelmäßig Besuch aus Deutschland und befindet sich zudem in bester Gesellschaft. Auch wenn es heißt, der Tod mache alles gleich, so stimmte dieser Satz vor 200 Jahren nicht, und er stimmt selbstverständlich auch heute nicht. In der Art der Bestattung und besonders mit der Lage des Grabes zeigt „man“, wer man war und wohin man gehört.

Zum Beispiel der Michel

Am 10. März 1750, einem zunächst schönen Frühlingstag, braute sich über Hamburg ein Unwetter zusammen – mit schrecklichen Folgen: Ein Blitz schlug in den Turm des Michels ein. Zwei Stunden später wurde das Feuer bemerkt. Zum Löschen war es da zu spät. Die St.-Michaelis-Kirche brannte bis auf die Grundmauern nieder. Bereits 1751 erfolgte die Grundsteinlegung für den Neubau. Woher das Geld kam? Wer in eine der 268 Gruft-Kammern des Michels wollte, musste zahlen – und zwar zu Lebzeiten. Das war das Finanzierungsmodell, das der Baumeister Ernst Georg Sonnin dem Kirchenvorstand vorschlug. Sonnin hatte das keineswegs erfunden. Reformation hin oder her – seit den Anfängen des Christentums war es erstrebenswert, in einer Kirche bestattet zu werden. Und wer das Geld hatte, gönnte es sich und seinen Lieben. Für 15 bis 100 Jahre konnte man sich einkaufen, tief unter dem Boden der heute noch begehbaren Unterkirche des Michels, der Krypta. Um Platz zu sparen, standen die Särge übereinander. Wurde für keine Ruhezeitverlängerung gezahlt, ging es weiter in eigens dafür vorgesehene Reste-Kammern, und neue Mieter konnten nachrücken. Eine Besonderheit der Michel-Grüfte ist, dass hier nicht nur Verstorbene Einzug hielten, die im Leben „Wer“ waren. Ämter, Bruderschaften und Sterbekassen ermöglichten es auch ihren nicht so betuchten Mitgliedern, hier unten dem Himmel ganz nahe zu sein.

Kirchliche Friedhöfe

Sozusagen in der zweiten Reihe lag man auf den Kirchhöfen um die Kirchgebäude und später, als das bestattungstechnisch zunehmend problematisch wurde, auf den Friedhöfen der Kirchgemeinden vor dem Dammtor (für St. Katharinen, St. Michaelis, St. Petri, St. Johanniskloster und St. Nikolai) sowie vor dem Steintor (St. Jacobi). Auch hier wurde eisern an den Klassenunterschieden festgehalten. Die einen hatten die Gruft mit zugehöriger Kapelle – die anderen lagen in der allgemeinen Grube, notdürftig abgedeckt, damit problemlos der Nächste einziehen konnte. All diese Begräbnisplätze waren in kirchlicher Hand und die war in jedem „Fall“ offen. Wer es wollte, konnte weiterhin in oder bei „seiner“ Kirche bestattet werden, wenn denn ein Platz vorhanden war. Noch mischte sich die Obrigkeit nicht ein. Das änderte sich mit der französischen Besatzung, die am 01.01.1813 schlichtweg Bestattungen innerhalb der Stadt untersagte. Damit mussten alle auf die Friedhöfe vor den Stadttoren ausweichen.

Hamburg – wachsende Stadt

Im Jahr 1854 beschäftigte sich der Senat erstmalig mit Plänen, einen kommunalen Friedhof anzulegen. 1864 plante der Senat erneut. Ein Gutachten des Medizinal-Inspektors Dr. Th. Kraus vom 23.03.1872 gab letztlich den Ausschlag. Im Jahre 1873 nahm die „Commission für die Verlegung der Begräbnisplätze“ ihre Arbeit auf. Es galt, ein für den Zweck geeignetes, ausreichend großes Gelände mit Erweiterungsmöglichkeiten zu finden. Kosten sollte es natürlich auch nicht zu viel. Bezahlt hat man dann lediglich 45 Pfennige je Quadratmeter Land. Preiswert sollten auch notwendige Maßnahmen wie Trockenlegung, Wegebau und Bepflanzung sein. Und, das war wichtig, der Friedhof sollte besonders für die finanzstarken Mitbürger attraktiv sein, denn die Bestattungskosten für die Armen hatte und hat – auch hier kein Unterschied zum Jahr 2022 – ohnehin der Staat zu tragen. Die Kirchgemeinden witterten Wettbewerb durch einen kommunalen Friedhof und übten entsprechenden gesellschaftlichen Druck aus.

Der Senat sagt basta

Dennoch setzte der Senat seinen Plan auf Basis einer Kostenplanung von Wilhelm Cordes, der später der erste Friedhofsdirektor wurde, um. Cordes hatte für den ersten Bauabschnitt 1.290.000 Mark veranschlagt. Sein Chef, der Oberingenieur Andreas Meyer, hingegen 3.779.000 Mark. Der Senat genehmigte natürlich den „Ohlsdorf light“-Plan des jungen Cordes. So kam es am 01. Juli 1877 zu denkwürdigen ersten Bestattungen: Eva Maria Stülken, 38 Jahre, und zwei Männer, alle drei im Krankenhaus St. Georg gestorben, machten den Anfang. Die Stelle, die heute von einem großen Findling gekennzeichnet ist, liegt direkt gegenüber dem Eingang von Kapelle 1 (U 9/10), einige Schritte von der Straße entfernt. Das waren Armenbegräbnisse, bei denen aber erstmalig jeder Verstorbene sein eigenes Grab hatte. Doch die, die für die Kostendeckung nötig waren, die wollten nicht so recht. Keiner wollte der Erste „auf Ohlsdorf“ sein. „Man“ zog die standesgemäßen Friedhöfe am Dammtor vor. So blieb es bis 1879. Da wurde per Senatsverfügung auf den Begräbnisplätzen vor dem Dammtor das „Allgemeine Grab“ geschlossen. Von da an ging’s mit Ohlsdorf bergauf. Die ebenfalls „wachsende Stadt“ der Toten entwickelte sich von acht auf heute 389 Hektar. Dank der genialen und weit blickenden Gestaltung durch Wilhelm Cordes wurde der Friedhof Ohlsdorf zur größten Grünanlage und zu einer Oase der Stille im Trubel der Stadt.

Ohlsdorf 2050

„Gestorben wird immer“ – ist nicht nur der Titel einer 2011 im ZDFneo gezeigten Serie. Es ist auch Realität. Dennoch ist der Platzbedarf für Bestattungen zurückgegangen. Mit mehr als 80 Prozent dominieren heute Feuerbestattungen – bedingt durch die zunehmende Mobilität sind repräsentative große Familiengräber nicht mehr gefragt. Dennoch soll der Friedhof sich möglichst selbst tragen. Mit dem Projekt „Ohlsdorf 2050“ haben sich die Verantwortlichen den neuen Herausforderungen gestellt. Einerseits soll Ohlsdorf ein würdiger, der Tradition verpflichteter Begräbnisplatz bleiben, was aber neue Formen der Bestattung ausdrücklich willkommen heißt – andererseits sollen die Aspekte der „Grünen Lunge“ und der Erholung in der Stadt mehr in den Vordergrund rücken. Die Kunstkapelle sechs und Schülerprojekte in Kapelle drei sind Schritte in dieser Richtung. Augenfällig, dass zunehmend junge Leute den Friedhof für sich entdecken – Familien mit Kindern, Radfahrer und Touristen auf Spurensuche. Dass die Tier- und Pflanzenwelt Ohlsdorf längst dankbar angenommen hat, wird bei Spaziergängen eindrucksvoll deutlich. Der Friedhof lebt – sicher noch weitere 145 Jahre.

F. J. Krause © SeMa

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