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Vererben wir nichts als Schulden?

Seine Regierung selbst wählen zu dürfen ist ein Privileg, für das auch heute noch Menschen ihre Freiheit und ihr Leben riskieren. Wählen ist nur dann möglich, wenn zumindest ein Grundwissen über die Zielsetzungen der Parteien und ihrer Kandidaten besteht. Das SeMa möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten und hat aussichtsreichen Hamburger Bundestagskandidaten einige Fragen gestellt. Dass die – teilweise sinnerhaltend gekürzten – Antworten nicht immer zu den Fragen passen, liegt außerhalb unserer Verantwortung. Hier die Fragen:

Stichwort Corona-Krise und Aufhebung der Schuldenbremse

SeMa: Der Bundestag 2020 hat die Aufhebung der Schuldenbremse ermöglicht. Auf Basis dieser Entscheidung beläuft sich die Neuverschuldung allein des Bundes für 2021/2022 auf 470 Milliarden Euro. Bürger der Generation 55+ fragen sich bei dieser gigantischen Schuldenlast besorgt: „Vererben wir nichts als Schulden?“ Unabhängig davon, wie Ihre Fraktion gestimmt hat, an Sie die Frage: Wie wollen Sie diese Schuldenlast so abtragen, dass sie nicht über Jahrzehnte den Handlungsspielraum zukünftiger Regierungen dramatisch einschränkt?

Dorothee Martin, SPD: Familien, Unternehmen oder auch Pflegepersonal sind angewiesen auf finanzielle Unterstützung des Staates. Olaf Scholz hat deutlich gemacht, dass die aufgenommenen Schulden bis zum Beginn der 2030er Jahre abgebaut sein werden und es zu einer geringeren Staatsverschuldung kommen wird als in der Finanzkrise 2008. Höchstverdienende, Millionäre, Milliardäre und in Deutschland tätige globale Großkonzerne werden einen höheren Beitrag leisten. Darüber hinaus hat Olaf Scholz mit der globalen Mindeststeuer für die großen Technologiekonzerne das Ausnutzen von Steueroasen erschwert und für Deutschland angemessene zusätzliche Einnahmen generiert.

Dr. Christoph Ploß, CDU: Um die Corona-Krise zu bewältigen, war es richtig, die Schuldenbremse zeitlich begrenzt auszusetzen. Allerdings muss ein solcher Beschluss die absolute Ausnahme bleiben. Wir setzen uns als CDU dafür ein, dass wir so schnell wie möglich zur Einhaltung der Schuldenbremse zurückkehren und im Sinne der Generationengerechtigkeit Schulden abtragen. Wir sehen sehr kritisch, dass linke Parteien die Schuldenbremse abschaffen wollen. Statt eine Debatte über die Aussetzung der Schuldenbremse zu führen, brauchen wir eine Ausgabenkritik.

Michael Kruse, FDP: Die Sorge, dass viel zu viele Schulden vererbt werden, teile ich zu 100 Prozent! Das hat nicht allein mit Corona zu tun: Die Bundesregierung hat in Zeiten, in denen die Steuereinnahmen nur so sprudelten versäumt, wirklich ernsthaft Schulden abzubauen. Wie lässt sich das jetzt besser machen? Ich setze mich dafür ein, dass die öffentlichen Haushalte so schnell wie möglich wieder auf eine solide Basis gestellt werden. Der beste Weg dahin ist, für wirtschaftlichen Aufschwung zu sorgen – und damit für Steuereinnahmen. Die Wirtschaft muss von unnötigen Fesseln und bürokratischen Vorschriften befreit werden. Steuererhöhungen wären jetzt das größte Gift für den Aufschwung!

Katharina Beck, GRÜNE: Schulden, also Kredite, sind ein wichtiges Mittel für jede wirtschaftliche Tätigkeit und auch für gute Politik. Klug eingesetzt, ermöglichen bundesdeutsche Schulden Investitionen in gute Infrastruktur, einen funktionierenden Staat und eine zukunftsfähige Wirtschaft. Deswegen plädieren wir wie führende Ökonomen für eine Ergänzung der Schuldenbremse durch eine Investitionsregel. Nur so kann dringend notwendige Wertschöpfung für Deutschland und die kommenden Generationen endlich umgesetzt werden.

Zaklin Nastic, DIE LINKE: Wir fordern zur Bewältigung der Krisenfolgen eine einmalige Vermögensabgabe. Diese soll bei vermögendsten Privatpersonen erhoben werden, die über mindestens 2,5 Millionen Euro Vermögen verfügen. Obwohl wir hohe Freibeträge etwa auf Wohneigentum vorsehen, könnte der Staat so bis zu 200 Milliarden Euro einnehmen. Außerdem wollen wir alle monatlichen Einkommen unter 6500 Euro brutto steuerlich entlasten, aber die Körperschaftssteuer für Unternehmen wieder auf 25 Prozent ansetzen, eine Vermögenssteuer ab 1 Million Euro pro Person einführen und durch sinnvolle Einsparungen, etwa im Rüstungshaushalt, auf unnötige Staatsausgaben verzichten. DIE LINKE würde mit ihrem Steuerkonzept 163,5 Milliarden im Jahr mehr einnehmen, statt neue Schulden zu machen.

Dr. Bernd Baumann, AfD: Der Schuldenberg ist gigantisch und wächst dramatisch weiter! Die AfD strebt die Rückkehr zu ausgeglichenen Staatshaushalten an. Wir befürworten die schrittweise Rückführung der ausgeuferten öffentlichen Verschuldung. Nachfolgende Generationen sollen nicht die Folgen der bisherigen kurzsichtigen Schuldenpolitik auferlegt werden. Wir müssen unbedingt unsere Ausgaben überdenken und sparen. Ein Themenfeld ist die ausgeuferte Migration und ihre extrem hohen Kosten. In Deutschland leben über 290.000 längst abgelehnte Asylbewerber. Sie werden aber aus verschiedenen Gründen nicht zurückgeführt. Das zweite Themenfeld sind die exorbitanten Aufbaufonds und gigantischen Schuldenübernahmen für unsolide EU-Südländer.

Stichwort Finanzielle Sicherheit im Alter

SeMa: Die Wahlprogramme sprechen dieses Thema zwar an, sind aber wenig konkret. Wie wollen Sie erreichen, dass die Beitragszahler (Abreitnehmer/Arbeitgeber oder Staatsfinanzen) nicht noch mehr belastet werden und gleichzeitig die Lebensleistung der Ruheständler angemessen honoriert wird?

Dorothee Martin, SPD: Wir wollen für alle Erwerbstätigen die gesetzliche Rentenversicherung mit ihren verlässlichen Leistungen stärken und ein dauerhaftes Rentenniveau von mindestens 48 Prozent. In Parlament und Regierung haben wir uns erfolgreich für die Grundrente eingesetzt. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters auf 68 lehne ich strikt ab. Wir haben es kleinen und mittleren Unternehmen erleichtert, in die betriebliche Altersversorgung einzusteigen. Unser Ziel: deutlich mehr Beschäftigte in einer betrieblichen Altersversorgung. Zusätzlich wollen wir eine attraktive private Altersvorsorge ermöglichen. Darum setzen wir uns nach schwedischem Vorbild für ein neues standardisiertes Angebot ein.  

Dr. Christoph Ploß, CDU: Die beste Rentenpolitik ist eine gute Wirtschaftspolitik. Wenn es Deutschland gut geht, steigen auch die Renten. Daher setzen wir auf Investitionen in die Infrastruktur, auf Entbürokratisierung und wollen Unternehmertum fördern, um die Konjunktur anzukurbeln.

Michael Kruse, FDP: Die umlagefinanzierte Rente, wie wir sie bisher kannten, wird in Zukunft nicht mehr funktionieren. Der Grund ist einfach: Immer weniger Beitragszahler müssen immer mehr Rentner finanzieren. Die Antwort der FDP auf diese dringende Frage ist die Aktienrente. Von den steigenden Kursen an den Aktienmärkten soll nicht nur eine kleine Gruppe von Börsenexperten profitieren, sondern alle zukünftigen Rentnerinnen und Rentner. Dafür wollen wir, dass zwei Prozentpunkte des Rentenbeitragssatzes (derzeit 18,6 Prozent) in die Aktienrente eingezahlt werden. Der umlagefinanzierte Anteil sinkt um den entsprechenden Satz. Schweden setzt dieses Modell seit 20 Jahren erfolgreich um.

Katharina Beck, GRÜNE: Die gesetzliche Rentenversicherung steht aufgrund der steigenden Zahl an Rentner*innen und sinkenden Zahl an Einzahlenden vor erheblichen Herausforderungen. Altersarmut ist heute teils schon Realität und vor allem auch für Frauen eine große Bedrohung. Auf diesem Gebiet ist politisch zuletzt zu wenig passiert. Ein Ziel von uns Grünen ist zunächst die Stabilisierung des Rentenniveaus bei mindestens 48 Prozent. Alle Arbeitnehmer sollten Zugang zu einer betrieblichen Altersversorgung haben. Die Riester-Rente ist zu teuer und sollte durch einen öffentlich verwalteten Bürgerfonds ersetzt werden Die perspektivische Vollversteuerung der Rente gehört m. E. auf den Prüfstand.

Zaklin Nastic, DIE LINKE: Mit unserem Vorschlag einer solidarischen Erwerbstätigenversicherung, in die auch Beamt*innen, Abgeordnete, Freiberufler*innen und ein Teil der Selbstständigen einzahlen, machen wir die gesetzliche Rentenversicherung stabil und zukunftsfest. Zudem treten wir Altersarmut bereits im Erwerbsleben mit einem Mindestlohn von wenigstens 13 Euro entgegen und führen eine Mindestrente von 1200 Euro netto ein.

Dr. Baumann AfD: Kinderzahl und Erziehungsleistung müssen stärker als bisher berücksichtigt werden. Wir fordern eine grundlegende Reform der Rentenversicherung. Soziale Gerechtigkeit ist ein integraler Bestandteil der AfD-Politik, muss aber immer auch zur Eigenverantwortung anregen. Arbeitnehmern, die 45 Jahre und länger für eine Altersversorgung arbeiten müssen, ist es nicht vermittelbar, dass Politiker bereits nach wenigen Jahren hohe Pensionsansprüche sammeln. Sie sollen wie andere Arbeitnehmer auch in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Beamte sind das Rückgrat der deutschen Verwaltung. Die AfD fordert, dass die Verbeamtung auf rein hoheitliche Aufgaben reduziert wird. Zudem fordern wir die Einführung einer Altersvorsorge für Selbstständige.

Dorothee Martin

Frage an Dorothee Martin, SPD, Stichwort: Führungsqualität

SeMa: Olaf Scholz hielt die Mehrheit der SPD für ungeeignet, die SPD zu führen. Warum sollte er dann geeignet sein, als Kanzler eine Bundesregierung zu führen?

Dorothee Martin: Olaf Scholz ist unser Kanzlerkandidat. Er ist der Einzige, der langjährige Regierungserfahrung mitbringt und mit dem Zukunftsprogramm eine klare Vision für unser Land aufzeigt. Scholz Nominierung mit nahezu 100% beim SPD-Bundesparteitag spricht für sich. Wir stehen geschlossen hinter ihm. Dass dies auch die Bürger*innen unseres Landes so sehen, zeigen die Umfragen, wenn es um die direkte Wahl des Kanzlerkandidaten geht. In diesen führt Olaf Scholz mit deutlichem Abstand.

Dr. Christoph Ploß

Frage an Dr. Christoph Ploß, CDU, Stichwort: klimaneutrales Industrieland

SeMa: Die CDU hat die CO2-Steuer mit eingeführt. Durch die Aufteilung der durch sie verursachten höheren Heizkosten auf Mieter*innen und Vermieter*innen sollten Letztere motiviert werden, durch Optimierung und Erneuerung der Heizanlagen den CO2-Ausstoß zu vermindern. Das hat die CDU/CSU verhindert. Warum?

Dr. Christoph Ploß: Wir setzen uns für das Verursacherprinzip ein. Wenn ein Mieter bei klirrender Kälte und offenen Fenstern die Heizung voll aufdreht, darf doch nicht der Vermieter dafür zahlen müssen. Das wäre ungerecht – und dem Klimaschutz würde man einen Bärendienst erweisen.

Katharina Beck

Frage an Katharina Beck, GRÜNE, Stichwort: Bürgerbeteiligung

SeMa: Wie passt der Anspruch der Grünen, für mehr Bürgerbeteiligung zu sein, mit dem konkreten Handeln des grünen Bezirksamtsleiters Hamburg-Nord, Michael Werner-Boelz, zusammen der, wenn er befürchtet, der Bürger würde nicht in seinem Sinne abstimmen, Bürgerbeteiligung aushebelt und dabei die zuständige SPD-Senatorin als Helferin einsetzt?

Katharina Beck: Bei Vorhaben von gesamtstädtischer Bedeutung kann der Senat das Verfahren an sich ziehen ( „Evokation“) Eine solche Evokation hat Konsequenzen, auch für die Möglichkeiten von Bürgerbeteiligung. Ob eine gesamtstädtische Bedeutung vorliegt, sollte daher frühzeitig geklärt werden, um allen Akteur*innen Klarheit zu ermöglichen. Eine solche Klärung hat der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Nord deshalb im Zusammenhang mit dem Bau von 700 bezahlbaren Wohnungen am Diekmoor veranlasst. Das Ergebnis ist, dass der Bau tat- sächlich im gesamtstädtischen Interesse liegt. Damit entfällt eine Bürgerbeteiligung. Viel Energie, die sonst vergebens aufgewendet worden wäre, kann dadurch nun anders eingesetzt werden.

Michael Kruse

Frage an Michael Kruse, FDP, Stichwort: Aufstockung

SeMa: Die FDP steht für eine freie, liberale Marktwirtschaft. Halten Sie es für „normal und richtig“, dass Vollzeitbeschäftigte so wenig verdienen, dass sie Aufstockung erhalten müssen und die Steuerzahler zu deren Lebensunterhalt mit beitragen, aber gleichzeitig deren Arbeitgeber Gewinne realisieren? Sollte der Mindestlohn nicht vielmehr ermöglichen, davon in Würde zu leben und somit deutlich höher sein?

Michael Kruse: Mein Ziel ist es, Aufstiegschancen zu schaffen, sodass jeder Mensch aus eigener Kraft in einen gut bezahlten Job kommen kann. Wir müssen deshalb viel mehr tun in der Bildung: Fast nirgendwo in Europa hängt der schulische Erfolg von Kindern so sehr vom Elternhaus ab wie bei uns. Das darf nicht so bleiben. Und das Thema „Bildung“ endet natürlich nicht mit dem Schulabschluss. Die FDP setzt sich für das Prinzip des „Lebenslangen Lernens“ ein. Wir wollen ein „Midlife-Bafög“ einführen und Berufstätigen ermöglichen, Auszeiten für die Weiterbildung zu nehmen.

Zaklin Nastic

Frage an Zaklin Nastic, DIE LINKE, Stichwort: Demokratie

SeMa: Der LINKEN geht es auch um die Aufarbeitung der Rolle der SED in der DDR. U. a. heißt es „Teile der Bürgerbewegung der DDR setzten sich im Herbst 1989 für einen friedlichen, demokratischen, sozialen, ökologischen Aufbruch und einen politischen Wandel zu einem besseren Sozialismus ein. Doch 1990 scheiterte dieses Projekt. Es gelang ebenso wenig, eine demokratische Neubegründung des vereinigten Deutschlands durchzusetzen.“ Will „DIE LINKE“ damit sagen, in der Bundesrepublik gibt es keine Demokratie?

Zaklin Nastic: Die Bundesrepublik Deutschland ist eine repräsentative Demokratie, deren Werte von der LINKEN anerkannt und verteidigt werden. Wir kritisieren allerdings, dass es nach der Vereinigung Deutschlands im Jahr 1990 keine „demokratische Neubegründung“ und gemeinsame Verfassung gab. DIE LINKE will Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide auf Bundesebene einführen und das Petitionsrecht ausbauen.

Dr. Bernd Baumann

Frage an Dr. Bernd Baumann, AFD, Stichwort: Pflege

SeMa: Die Pflege älterer Menschen durch einen Dienst oder durch ein Heim wird höher vergütet als die Pflege durch einen Angehörigen. Wir glauben, dass die Pflege durch Familienangehörige mindestens genauso gut und wertvoll ist, wie durch einen externen Dienstleister. Deshalb sind die häuslichen Pflegesätze an die Leistungen für Pflegedienstleister anzugleichen.“ Setzen Sie damit nicht „gut wollen“ mit „gut können“ gleich und diskriminieren mit dieser Aussage die durch Ausbildung qualifizierten Arbeitnehmer in den Pflegeberufen?

Dr. Bernd Baumann: Wir fordern eine leistungsgerechte angemessene Bezahlung der Pflegekräfte über einen Flächentarifvertrag mit steuerfreien Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen, eine gesetzliche Personaluntergrenze für Pflegeeinrichtungen. Wir befürworten weiter die getrennte Berufsausbildung von Gesundheits- und Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege, die sich über Jahrzehnte bewährt hat. Über 70 Prozent der Pflegebedürftigen bevorzugen die Unterbringung zu Hause. Sie ist nicht nur aus sozialen, sondern auch aus finanziellen Gründen vorzuziehen. Die stationäre Pflegebedürftigkeit ist so lange wie möglich hinauszuschieben. Die Unterstützung von pflegenden Angehörigen ist durch die weitgehende Angleichung des Pflegegeldes an die Pflegesachleistungen zu fördern.    

 

F. J. Krause © SeMa

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