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Vor 125 Jahren wurde das Hamburger Rathaus eröffnet

Keine Damentoilette, aber barbusige Frauen

Würdige Herren unter
sich. Der Einzug des Senats in das neue Rathaus, wie ihn der Historienmaler Hugo Vogel sah.

Foto © Wikipedia / Christoph Braun

Es ist das Sechste in der Stadtgeschichte – gleich neun Baumeister haben es geplant und realisiert. Das repräsentative Rathaus der Freien und Hansestadt Hamburg an der Kleinen Alster wurde von 1886 bis 1897 im Stil der Neorenaissance errichtet. Sein Turm hat eine Höhe von 112 Metern und prägt gemeinsam mit den Türmen der Hauptkirchen Hamburgs Stadtbild. Dass es überhaupt fertig wurde, ist fast ein Wunder, denn die Senatoren, die außer ihrer viele Kilo schweren Amtstracht noch etliche weitere Bürden zu tragen hatten, waren mit Änderungs- und Ergänzungswünschen nicht zurückhaltend.

Eine notwendige Ausgabe

Eigentlich war es in Hamburg nicht üblich, nur des schönen Scheins wegen Geld auszugeben, denn das „alte“ Rathaus an der Trostbrücke hatte es ja noch getan. Doch beim „Große Brand“ vom Mai 1842 hatte man – allerdings vergeblich – versucht, durch die Sprengung des historischen Gebäudes das Feuer aufzuhalten. Sehr schnell einigte man sich auf einen neuen Standort auf der Rückseite der „Neuen Börse“, die als einziges Gebäude in diesem Gebiet den Brand heil überstanden hatte. So konnte die 1765 gegründete „Patriotische Gesellschaft“, deren eigenes Haus in der Großen Johannisstraße ebenfalls dem Brand zum Opfer gefallen war, auf dem Grundstück am Nikolaifleet ein neues Gebäude errichten. Bereits im Dezember 1847, nur fünf Jahre nach dem Brand, feierten die Patrioten die Fertigstellung ihres Neubaus. Für die des Rathauses vergingen weitere 50 Jahre. Denn vorrangig musste die Stadt wieder aufgebaut werden. Nicht förderlich für das Projekt Rathausneubau waren auch die politischen Umbrüche der Revolution von 1848/49, die Wirtschaftskrise von 1857 sowie die Auseinandersetzungen der Großmächte bis zur Reichsgründung 1870/71.

Mann trägt Zylinder. Herren unter sich beim Richtfest am Sonnabend, den 7. Mai 1892.

Foto © Staatsarchiv

Wer die Wahl hat, hat die Qual

Um sicher zu sein, das architektonische Optimum zu erhalten, kam es zu zwei Entwurfs-Wettbewerben: 1854 gingen 43 Entwürfe und 1876 sogar 128 Entwürfe ein. Doch der Senat „kam nicht in die Puschen“. Die konkrete Planung erfolgte schließlich durch die Architektengruppe „Rathausbaumeisterbund“ unter der Leitung von Martin Haller. Als Sohn des 1876 verstorbenen Hamburger Bürgermeisters Nicolaus Ferdinand Haller – dem Namensgeber der Hallerstraße – konnte er den Senat von dem ohne Auftrag 1880 erstellten Entwurf 1884 überzeugen, sodass 1886 endlich mit den Bauarbeiten begonnen werden konnte. Mehr als 4.000 Eichenpfähle waren nötig um den Baugrund zu stabilisieren. Die Bauarbeiten verliefen schleppend. Ein Streik der Bauarbeiter 1889 und die Cholera 1892 in Hamburg bremsten den Baufortschritt. Nach über einem halben Jahrhundert erhielten die Hamburger am 26. Oktober 1897 ihr neues Rathaus: Mit einem Volksfest wurde es offiziell eingeweiht. Dr. Lehmann übergab als Vorsitzender der Rathausbaukommission Bürgermeister Dr. Versmann den Schlüssel, „als sichtbares Zeichen, dass das neue Rathaus so weit fertiggestellt ist, um dem Zweck, für welchen es errichtet ist, dienen zu können.“ Gekostet hat der Neubau letztlich rund elf Millionen Goldmark.

Kanal für den Opa – Insel für den Enkel

Der Hamburger Reeder Hermann Dahlström, Spitzname „Kanalström“ (1840–1922) legte 1878 einen detaillierten Plan vor, mit einem Kanal die Ostsee mit der Nordsee zu verbinden. Kaiser Wilhelm I. legte den Grundstein für den später nach ihm benannten Kanal – sein Enkel, der marinebegeisterte Kaiser Wilhelm II. reiste im Juni 1895 über Hamburg an, um die Wasserstraße mit einem dreitägigen Fest in Kiel-Holtenau zu eröffnen. Doch wohin in Hamburg mit dem Kaiser? Immerhin gab es schon einen Saal im Rathaus, der vorzeigbar war. Dort wurde der hohe Gast mittags bewirtet. Seitdem trägt er den Namen Kaisersaal. Für die Kaffeetafel am Nachmittag griff der Senat ganz tief in die Tasche. Inmitten der Binnenalster errichtete man auf 760 Pfählen eine 6.000 Quadratmeter große Inse, auf der dann der Kaiser gemeinsam mit 1.600 Gästen die schöne Aussicht genießen konnte. Danach ging es zum Hafen, wo schon die kaiserliche Jacht „Hohenzollern“ darauf wartete, den Monarchen nach Kiel zu bringen.

Auch Mitglieder der Bürgerschaft führen gelegentlich durch das Rathaus. Ihr Insiderwissen macht den Rundgang besonders spannend. Hier der SPD-Abgeordnete Gulfam Malik (li. neben der Dame mit der roten Hose) mit einer Gruppe aus seinem Wahlkreis.

Foto © Krause

Was war – was ist

So fortschrittlich sich die Hamburger im 19. Jahrhundert auch gaben – Frauen hatten in der Politik, also auch im Rathaus, nichts zu suchen. Sie durften zwar als allegorische Gestalten gern barbusig und aus Stein oder in Öl an den Wänden Platz nehmen. Aber in der Bürgerschaft und gar im Senat war kein Platz für sie. So erübrigte sich auch der Einbau von Damentoiletten. Heute besteht die Möglichkeit, im Rathaus zu heiraten. Das wollte Martin Haller den Bürgern schon vor 125 Jahren. ermöglichen. Deshalb gibt es im Innenhof des Hauses auf der Senatsseite eine künstlerisch reich geschmückte „Brautpforte“ samt Brauttreppe und Brautdiele. Tauben schnäbeln dort – Adam hat einen Hund und Eva die unvermeidliche Schlange samt Apfel. Doch weiter ging es damals nicht. Von einem Standesamt wollte die Rathausbaukommission nichts wissen. Denn es traf zwar zu, dass sich durch Heirat einer Senatorentochter gelegentlich auch der Weg in den Senat öffnete – doch so genau sollte das wohl nicht dargestellt werden.

Die Sache mit der Demokratie

Bei aller Herausstellung von Bürgerstolz im Rathaus gilt es sich vor Augen zu führen – nicht nur Frauen hatten dort bestenfalls als Putzfrauen etwas zu suchen. Denn ein überwältigender Teil der damals in Hamburg lebenden Menschen waren keine Bürger, sondern steuerpflichtige Bewohner, die nicht wählen durften. Politik, die machten in Hamburg die „oberen Zehntausend“ unter sich aus. Am 16.03.1919 fanden in Hamburg die ersten allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Bürgerschaftswahlen für Männer und Frauen ab dem 21. Lebensjahr statt. Wahlsieger war die SPD mit 50,4 Prozent. Die Bürgerschaft arbeitete eine neue Verfassung aus. 1921 trat sie in Kraft. Seitdem sind die gewählten Volksvertreter alleinige Gesetzgeber. Seitdem erst wird Hamburg demokratisch regiert.

Macht zu jeder Zeit etwas her – das „neue“ Rathaus an der Kleinen Alster.

Foto © Krause

Unterwegs in einem Wimmelbild

Unmöglich ist es, mit Worten alle großen und kleinen Sehenswürdigkeiten des Rathauses zu beschreiben. Vieles erschließt sich erst beim zweiten oder dritten Hinsehen. Das trifft schon für die frei zugänglichen Baubereiche zu – bei Führungen gibt es noch viel mehr zu entdecken. Deshalb sind Rathausführungen unter kundiger Leitung immer ein Gewinn. Für die „Jubelwoche“ hat sich die Historikerin Dr. Rita Bake ein besonderes Schmankerl einfallen lassen. In ca. zweistündigen szenischen Rundgängen mit den Schauspielerinnen Herma Koehn und Hanka Schmidt und dem Schauspieler Olaf Kreutzenbeck lässt sie Rathausgeschichten lebendig werden.

Hier die Termine im Oktober:

Sa., 22.10., 16 Uhr; So., 23.10., 11 Uhr; Mo., 24.10., 10 Uhr; Di., 25.10., 13 Uhr; Mi., 26.10., 12 und 17 Uhr; Do., 27.10., 14 Uhr

Eintrittskarten zum Preis von € 12,– erm. € 6,–, gibt es ab dem 4. Oktober im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung, Dammtorwall 1, 20354 Hamburg, Tel.: 040/428 23 48 02. Öffnungszeiten: Mi., 12.30–17 Uhr; Do., 12.30–17 Uhr; Fr., 12.30–16.30 Uhr; Mo., 12.30–17 Uhr; Di., 12.30–17 Uhr

„Normale“ Führungen sind dann möglich, wenn der Politikbetrieb es zulässt. Es gibt sie nicht nur auf Hoch- sondern auch auf Plattdeutsch sowie auf Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch oder Chinesisch. Termine und Kosten finden sich im Internet unter www.hamburg.de/rathausfuehrung    

 

F. J. Krause © SeMa

(Bild ganz oben: Der Senat fühlt sich mit der Serenissima auf Augenhöhe. Eine Touristin aus Hamburg zu Besuch in Venedig – natürlich barbusig. Foto: Krause)

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