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„Deutschland muss leben ...“

Der „Kriegsklotz“ am Dammtor erregt von jeher die Gemüter

Totale Kriegsdienstverweigerer nutzten das Denkmal
in den 1990er-Jahren für
Protestaktionen.

Foto © Archiv stahlpress Medienbüro

Militärverbundene Traditionalisten lieben es, Pazifisten hassen es, die meisten gehen oder fahren heute achtlos an ihm vorbei. Seit 1936 spaltet das dem „Infanterie-Regiment Hamburg Nr. 76“ gewidmete Denkmal, das am Stephansplatz massiv dem Zeitgeist trotzt, die Gemüter historisch und politisch interessierter Hamburgerinnen und Hamburger.

Die Geschichte des im Volksmund sogenannten „Kriegsklotzes“ reicht bis in die Weimarer Republik zurück. Seit 1925 forderten hiesige Kriegervereine vom Senat die Errichtung eines Denkmals zu Ehren der „76er“. Zunächst vergebens. Erst nach der 1933 erfolgten sogenannten „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten nahm das Projekt Fahrt auf. Kritiker aus den Reihen von KPD, SPD, Gewerkschaften und Pazifisten waren mundtot gemacht worden. 1934 lobten die neuen Herrscher nach Beschaffung der Geldmittel (70.000 Reichsmark) einen Wettbewerb aus. 64 Arbeiten wurden eingereicht. Der Entwurf des Bildhauers Richard Kuöhl überzeugte die Jury – vor allem deshalb, weil nicht der einzelne Soldat im Mittelpunkt stand, sondern die geschlossen vorwärts- marschierende Truppe.

Das Motiv gefiel den Nazis ebenso wie die Zeile „Deutschland muss leben und wenn wir sterben müssen“. Dass die martialische Inschrift auf dem im März 1936 eingeweihten Denkmal ausgerechnet von einem „Arbeiterdichter“ stammt, sorgt heute für Erstaunen. Die Worte wie Donnerschläge, in Stein gemeißelt und von den Initiatoren mit Bedacht auf der Längsseite des Denkmals am stark frequentierten Fußgängerweg angebracht, stammen aus dem Gedicht „Soldatenabschied“ von Heinrich Lersch (1889–1936). Der gelernte Kesselflicker brachte sie 1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, zu Papier. „Jeder Stoß ein Franzos’, jeder Schuss ein Russ’“ – mit auf Postkarten millionenfach gedruckten Parolen dieser Couleur zogen die Soldaten gegen den Feind – und millionenfach in den Tod.

Zeitgenössische Ansichtskarte: Das 76er-
Denkmal kurz nach seiner Enthüllung. Foto © Archiv
stahlpress Medienbüro

Das mit dem Denkmal geehrte Hamburger 76er-Regiment hatte sich im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und im Ersten Weltkrieg im Kampf um die „heilige Sache des Vaterlandes“ Meriten erworben. „Die erste Vierergruppe der Soldaten ist so dargestellt, als marschiere sie gerade aus dem Hamburger Stadttor heraus. Der Führer der Truppe zeigt mit dem Finger nach vorne – Kampfes- und Siegeswillen signalisierend. Hier wird also der Auszug ins Feld thematisiert. Die chaotische und todbringende Kriegsrealität bleibt ausgespart“, schrieb der Kunsthistoriker Hans Walden 1979.

Denkmalschöpfer Kuöhl (1880–1961) entwarf nicht nur das umstrittene Kriegerdenkmal, sondern hinterließ zahlreiche Spuren in Hamburgs öffentlichem Raum. Seine Baukeramik hatte in den 1920er-Jahren perfekt zu den von Oberbaudirektor Fritz Schumacher präferierten Klinkerbauten gepasst. Noch heute prangt seine Kunst an zahlreichen Staatsbauten, zum Beispiel an der Finanzbehörde am Gänsemarkt. Kuöhl war im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts der meistbeschäftigte Bildhauer Hamburgs, nicht zuletzt deshalb, weil er anpassungsfähig war und sich als „reichsdeutscher arischer Bildhauer“ der von den Nationalsozialisten aus der Taufe gehobenen „Reichskammer der bildenden Künste“ angeschlossen hatte.

Der „Kriegsklotz“ heute.
Foto © stahlpress
Medienbüro

Vom Feuersturm im Zweiten Weltkrieg verschont, marschieren Kuöhls Krieger auf der Kalksandsteinfassade des Denkmals bis heute unverdrossen weiter. Die britische Militärregierung verzichtete 1945 auf die Sprengung des Klotzes, weil sie erbitterte Reaktionen der vom Bombenkrieg demoralisierten Bevölkerung befürchtete. Solch ein historisches Feingefühl scheint deutschen Militärs fremd zu sein. Nach der Gründung der Bundesrepublik legten uniformierte Bundeswehrangehörige sowie ehemalige Wehrmachts- und Waffen-SS-Angehörige Seit an Seit jahrzehntelang Kränze zu Ehren der Gefallenen des Hamburger Vorzeige-Regiments nieder. Anhänger der Friedensbewegung und Antimilitaristen nutzten den „Kriegsklotz“ ihrerseits als Ort für Kundgebungen, Aktionen und als Folie für Parolen, die sie auf den Stein sprayten.

1982 befand die Hamburger Kulturbehörde, dass das sogenannte Ehrenmal der 76er am Dammtor „kriegsverherrlichend“ sei und beauftragte den marxistischen Bildhauer Alfred Hrdlicka, ein Gegendenkmal zu erstellen. Dieses blieb nach der Einweihung der ersten beiden Teile in den Jahren 1985 und 1986 („Hamburger Feuersturm“, „Fluchtgruppe Cap Arcona“) aber unvollendet. Das Ensemble wurde 2015 mit der Schaffung eines Gedenkorts für Deserteure und Opfer der NS-Militärjustiz ergänzt – übrigens unter dem strengen Blick von Kuöhl. Der hatte sein Konterfei nämlich in einem Soldatenantlitz auf dem von ihm geschaffenen Denkmal verewigt.    

 

Volker Stahl © SeMa

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